Biberach an der Riß
behandelt, im zweiten finden sich Bestimmungen zur allgemeinen Sittenzucht und im dritten werden
Belange des Eherechts geregelt.
Die Zucht- und Eheordnung ist in zwei handschriftlichen Exemplaren überliefert, von denen das eine
(A) vollständig ist und hier als Textvorlage dient, das andere (B) im vorderen Teil stark zerstört ist, da
zahlreichen Seiten das obere Drittel des Papiers fehlt. Beide Handschriften unterscheiden sich in einigen
Punkten. So sind die in A erscheinenden Wendungen „unnsers dorfs N. und N. unnd oberkeit“ oder „hin-
dersäß“ in B durch „unser Stadt“ oder „burger“ ersetzt. Wo in A „spitalpfleger“ oder „amann und richter“
genannt sind, ist in B von „Fünfern“ die Rede. Aufgrund dieser Unterschiede weist Fassung A den Cha-
rakter eines Formulars für die Verhältnisse in den Biberacher Landgemeinden auf, während Fassung B für
die Reichsstadt selbst entworfen worden ist. Daneben weichen beide Exemplare vor allem zu Beginn des
Textes in einigen Passagen voneinander ab. In Text A sind die Abschnitte „Von Eeschaiden“, „Von sünde-
rung des guts“ und „Der Kinder guts halb, auß voriger Ee geporen“ am Rand mit der Bemerkung non lege
markiert, sie sind also nach dieser Handschrift nicht rechtskräftig geworden. In B finden sich diese Rand-
bemerkungen nicht. B weist gegenüber A außerdem den zusätzlichen Abschnitt „Von Hurerey“ auf.
Die Biberacher Zucht- und Eheordnung stellt zwar einen eigenständigen Text dar, lehnt sich jedoch
inhaltlich stark an die entsprechenden Passagen der Ulmer Kirchenordnung an, die am 6. August 1531
erschienen war.31 Durch den Ulmer Text, den Bucer in Zusammenarbeit mit Blarer und Oekolampad ent-
worfen hatte, stand auch die Biberacher Zucht- und Eheordnung maßgeblich unter dem Einfluss der Straß-
burger, Konstanzer und Basler Theologie.
Die Ausübung der Sittenzucht und die Rechtsprechung in Ehesachen oblag in Biberach dem Kleinen
Rat sowie einem von ihm bestellten Ausschuss. Dieser bestand für die Landgemeinden (nach Fassung A)
aus den Spitalpflegern und für die Reichsstadt (nach Fassung B) aus den als Fünfer bezeichneten Zucht-
herren. In Eherechtsfragen wurden in den Landgemeinden außerdem Amann und Richter zur Aufsicht
herangezogen.32
Ähnlich wie in Konstanz, Esslingen und Isny war die neue Lehre in Biberach nach schweizerisch-ober-
deutscher Theologie ausgerichtet. Am Beginn der kirchlichen Neuordnung stand die Zuchtordnung, nach
der bis zum Interim 1548 zahlreiche Belange umgeformt wurden. Der Chronist Heinrich von Pflummern
berichtet detailliert, welche altgläubigen Praktiken im einzelnen abgeschafft wurden.33 Die Maßnahmen
reichten von Einstellung der Firmung, der Priesterweihe, sämtlicher Prozessionen und Wallfahrten bis hin
zur Entfernung des Weihwassers und Reduzierung der Feiertage.34 Die eingezogenen Pfründen und Stiftun-
gen fasste der Rat im „gemeinen Almosenkasten“ zusammen und verwendete dessen Vermögen für den
Unterhalt der evangelischen Geistlichen sowie die Armenfürsorge.35 Zwischen 1535 und 1545 führte der
Biberacher Magistrat die Reformation mit Hilfe der Zucht- und Eheordnung auch in den reichsstädtischen
Landgebieten ein. Zu den ersten Maßnahmen gehörte hier die Anstellung evangelischer Prediger und die
Entfernung der Bildwerke aus den Kirchen.36
Seit 1531 hatte die Zahl der Territorien und Reichsstädte, die der Wittenberger Lehre anhingen -
getragen vom Schmalkaldischen Bund - deutlich zugenommen.37 Nicht zuletzt aus politischen Gründen
wandte sich auch der Biberacher Rat im Gefolge von Ulm und der Mehrzahl der übrigen oberdeutschen
31 Abdruck der Ulmer Kirchenordnung oben, S. 124-162.
Rüth, Reformation in Biberach, S. 734 Anm. 203.
32 Vgl. Rüth, Reformation in Biberach, S. 276. Über das
Ehegericht berichtet auch Heinrich von Pflummern
(Schilling, Beiträge, S. 222): Sie hund, ouch ietz zu
Bibrach ain ekricht mit aygnen richtern und aigem amman.
33 Schilling, Beiträge, S. 167-173, 229-234.
34 Die zahlreichen vor der Reformationseinführung began-
genen Feiertage nennt Schilling, Beiträge, S. 164f.
35 Eine genaue Auflistung der einzelnen Vermögenswerte
und ihrer Herkunft bietet Schilling, Beiträge,
S.183-187.
36 Litz, Bilderfrage, S. 177f.; Mildenberger, Reforma-
tion, S. 24-27; vgl. Merk, Attenweiler, S. 75-79, 92-96.
37 Rüth, Reformation in Biberach, S. 277.
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behandelt, im zweiten finden sich Bestimmungen zur allgemeinen Sittenzucht und im dritten werden
Belange des Eherechts geregelt.
Die Zucht- und Eheordnung ist in zwei handschriftlichen Exemplaren überliefert, von denen das eine
(A) vollständig ist und hier als Textvorlage dient, das andere (B) im vorderen Teil stark zerstört ist, da
zahlreichen Seiten das obere Drittel des Papiers fehlt. Beide Handschriften unterscheiden sich in einigen
Punkten. So sind die in A erscheinenden Wendungen „unnsers dorfs N. und N. unnd oberkeit“ oder „hin-
dersäß“ in B durch „unser Stadt“ oder „burger“ ersetzt. Wo in A „spitalpfleger“ oder „amann und richter“
genannt sind, ist in B von „Fünfern“ die Rede. Aufgrund dieser Unterschiede weist Fassung A den Cha-
rakter eines Formulars für die Verhältnisse in den Biberacher Landgemeinden auf, während Fassung B für
die Reichsstadt selbst entworfen worden ist. Daneben weichen beide Exemplare vor allem zu Beginn des
Textes in einigen Passagen voneinander ab. In Text A sind die Abschnitte „Von Eeschaiden“, „Von sünde-
rung des guts“ und „Der Kinder guts halb, auß voriger Ee geporen“ am Rand mit der Bemerkung non lege
markiert, sie sind also nach dieser Handschrift nicht rechtskräftig geworden. In B finden sich diese Rand-
bemerkungen nicht. B weist gegenüber A außerdem den zusätzlichen Abschnitt „Von Hurerey“ auf.
Die Biberacher Zucht- und Eheordnung stellt zwar einen eigenständigen Text dar, lehnt sich jedoch
inhaltlich stark an die entsprechenden Passagen der Ulmer Kirchenordnung an, die am 6. August 1531
erschienen war.31 Durch den Ulmer Text, den Bucer in Zusammenarbeit mit Blarer und Oekolampad ent-
worfen hatte, stand auch die Biberacher Zucht- und Eheordnung maßgeblich unter dem Einfluss der Straß-
burger, Konstanzer und Basler Theologie.
Die Ausübung der Sittenzucht und die Rechtsprechung in Ehesachen oblag in Biberach dem Kleinen
Rat sowie einem von ihm bestellten Ausschuss. Dieser bestand für die Landgemeinden (nach Fassung A)
aus den Spitalpflegern und für die Reichsstadt (nach Fassung B) aus den als Fünfer bezeichneten Zucht-
herren. In Eherechtsfragen wurden in den Landgemeinden außerdem Amann und Richter zur Aufsicht
herangezogen.32
Ähnlich wie in Konstanz, Esslingen und Isny war die neue Lehre in Biberach nach schweizerisch-ober-
deutscher Theologie ausgerichtet. Am Beginn der kirchlichen Neuordnung stand die Zuchtordnung, nach
der bis zum Interim 1548 zahlreiche Belange umgeformt wurden. Der Chronist Heinrich von Pflummern
berichtet detailliert, welche altgläubigen Praktiken im einzelnen abgeschafft wurden.33 Die Maßnahmen
reichten von Einstellung der Firmung, der Priesterweihe, sämtlicher Prozessionen und Wallfahrten bis hin
zur Entfernung des Weihwassers und Reduzierung der Feiertage.34 Die eingezogenen Pfründen und Stiftun-
gen fasste der Rat im „gemeinen Almosenkasten“ zusammen und verwendete dessen Vermögen für den
Unterhalt der evangelischen Geistlichen sowie die Armenfürsorge.35 Zwischen 1535 und 1545 führte der
Biberacher Magistrat die Reformation mit Hilfe der Zucht- und Eheordnung auch in den reichsstädtischen
Landgebieten ein. Zu den ersten Maßnahmen gehörte hier die Anstellung evangelischer Prediger und die
Entfernung der Bildwerke aus den Kirchen.36
Seit 1531 hatte die Zahl der Territorien und Reichsstädte, die der Wittenberger Lehre anhingen -
getragen vom Schmalkaldischen Bund - deutlich zugenommen.37 Nicht zuletzt aus politischen Gründen
wandte sich auch der Biberacher Rat im Gefolge von Ulm und der Mehrzahl der übrigen oberdeutschen
31 Abdruck der Ulmer Kirchenordnung oben, S. 124-162.
Rüth, Reformation in Biberach, S. 734 Anm. 203.
32 Vgl. Rüth, Reformation in Biberach, S. 276. Über das
Ehegericht berichtet auch Heinrich von Pflummern
(Schilling, Beiträge, S. 222): Sie hund, ouch ietz zu
Bibrach ain ekricht mit aygnen richtern und aigem amman.
33 Schilling, Beiträge, S. 167-173, 229-234.
34 Die zahlreichen vor der Reformationseinführung began-
genen Feiertage nennt Schilling, Beiträge, S. 164f.
35 Eine genaue Auflistung der einzelnen Vermögenswerte
und ihrer Herkunft bietet Schilling, Beiträge,
S.183-187.
36 Litz, Bilderfrage, S. 177f.; Mildenberger, Reforma-
tion, S. 24-27; vgl. Merk, Attenweiler, S. 75-79, 92-96.
37 Rüth, Reformation in Biberach, S. 277.
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