Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0480
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ravensburg

Unter dem Druck des Bekenntnisses der Bevölkerungsmehrheit zum neuen Glauben mussten die Rats-
herren schließlich konkrete Schritte zur Einführung der Reformation einleiten: Am 12. Oktober 1545 fass-
ten sie gemeinsam mit der Bürgerschaft den Beschluss, künftig nur noch die evangelische Lehre predigen zu
lassen.32 Am 24. November wiederholten Rat und Bürgerschaft ihren Beschluss: Man wollte unangesechen
aller trowungen und abschröckungen bei dem lautern und rainen wort Gottes alhie beliben, dasselbig alhie offen-
lich predigen und verkünden lassen und daran setzen und wagen leib, er und gut und darob mit Gottes beistand
und hilf wagen, was inen begegne.33
Mit diesen Entscheidungen begann die vom Rat getragene Einführung der Reformation in Ravens-
burg.34 Die Reichsstadt galt fortan als evangelisch, und obwohl Konrad Konstanzer vom zuständigen
Diözesanbischof35 vorgeladen worden war, predigte er - moralisch und finanziell vom Rat unterstützt -
weiterhin die evangelische Lehre in der Liebfrauenkirche.36

2. Anweisung zur Abschaffung altgläubiger Zeremonien 20. Mai 1546 (Text S. 472)
3. Verbot, außerhalb Ravensburgs zur Messe zu gehen 11. Juni 1546 (Text S. 473)
Nachdem sich der Ravensburger Rat im Herbst 1545 zur Einführung der Reformation entschlossen hatte,
suchte er den Rückhalt der übrigen protestantischen Stände und trat noch im April 1546 dem Schmalkal-
dischen Bund bei.37 Die Keimzelle der Reformation in Ravensburg waren zwar Konrad Konstanzer und die
übrigen Helfer der Liebfrauenkirche - doch waren sie alle theologisch nicht so beschlagen, dass sie das
Kirchenwesen der Reichsstadt auf seinen vielfältigen Ebenen hätten umgestalten können. Der Rat wandte
sich daher mit der Bitte um versierte Prediger an die Reichsstädte Nürnberg, Straßburg und Biberach.38
Aus Nürnberg kam am 15. März 1546 für einige Monate Blasius Stöckel,39 Straßburg entsandte Johann
Lenglin40 und bemühte sich darüber hinaus, den in Gengenbach tätigen Thomas Lindner (Tilianus ) zu
vermitteln, und Biberach schickte Jakob Schopper41 nach Ravensburg.42 Mit diesen Theologen hatte der
Rat drei Vertreter der Wittenberger Theologie in die Reichsstadt geholt. War die evangelische Gemeinde bis
dahin durch Konstanzers Predigt eher von der zwinglianischen Lehre geprägt,43 so unternahm der Magi-

32 Warmbrunn, Konfessionen, S. 60; Hofacker, Refor-
mation, S. 96f.; Holzer, Streit, S. 27f.
33 Zitiert nach Müller, Aktenstücke, S. 40. Vgl. Hof-
acker, Reformation, S. 99.
34 Schmauder, Bikonfessionalität, S. 26.
35 Der Konstanzer Bischof Johannes von Weeze (als Fürst-
bischof im Amt 1538 bis 1548).
36 Hofacker, Reformation, S. 98; Schmauder, Bikon-
fessionalität, S. 26; Litz, Bilderfrage, S. 260.
37 Dreher, Geschichte I, S. 386, Warmbrunn, Konfes-
sionen, S. 61; Hofacker, Reformation, S. 99f.; Hol-
zer, Streit, S. 29f.
38 Der Ravensburger Rat fragte auch Veit Dietrich nach
einem geeigneten Prediger. Am 23. August 1546 antwor-
tete dieser, dass Melanchthon einen Geistlichen empfoh-
len habe, StadtA Ravensburg Bü 484b Nr. 17. Vgl
Klaus, Dietrich, S. 219.
39 StadtA Ravensburg U 2362-2366.
40 Den Wunsch des Ravensburger Rates, Johann Marbach
in die Reichsstadt zu entsenden, lehnte Straßburg ab, da
dieser für die Neuordnung des Straßburger Schulwesens
benötigt wurde. Das Ablehnungsschreiben Marbachs an
den Ravensburger Rat vom 3. Juli 1546 ist abgedruckt

bei Kohls, Katechismen, S. 92f. Beilage 1. Vgl. ebd.,
S. 21f.; Hofacker, Reformation, S. 102; Warm-
brunn, Reformatoren, S. 189.
41 Biberach hatte die Entsendung Schoppers am 12. Juni
und erneut am 10. August 1546 zunächst abgelehnt,
StadtA Ravensburg Bü 484a Nr. 6.
42 Zu den drei Theologen siehe auch Dreher, Patriziat
1962, S. 270 Anm. 168; ders., Geschichte II, S. 762.
43 In vielen Darstellungen wird die Ausprägung der Refor-
mation als zwinglianisch bezeichnet. Diese Einschätzung
leitet sich von folgender Textstelle in einem Brief des
Weingartener Amtmanns Hans Käm an Abt Gerwig Bla-
rer vom 14. Juni 1546 ab: Es sind fier predicanten zu
Ravenspurg, die predigen der ain heut das, der ander morn
dis, darus sych täglich fyl news seltzams glouben zuotregt,
und ist Contz [= Konrad Konstanzer], der erst pfaff, am
allervertörtischten, dan er ain anhang von dem gemainen
man an im hat, der lieber zwinglisch dan luterisch sin wil.
Man maint auch gwisslich, die lutersch jetz sind, und die
andern, so zwinglisch gern werid, sey werdent noch ain
ander selb haym suochen, Günter, Blarer I, Nr. 774
S. 553. Vgl. Friess, Einfluss, S. 5-27.

460
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften