Einleitung
Willen der Bevölkerungsmehrheit entlassen,111 einerseits, weil seine Streitlust den städtischen Frieden
bedrohte, andererseits, weil der Rat den zwinglianischen Tendenzen entgegen wirken wollte.112 Das nicht
zuletzt politisch motivierte Bemühen des Rates, sich in der innerevangelischen Ausrichtung der Mehrheit
unter den südwestdeutschen Reichsständen anzuschließen, traf jedoch in der Bevölkerung nicht auf Gegen-
liebe. Der Nürnberger Lutheranhänger Michael Schmidt war im Februar 1555 als Prediger in Ravensburg
angestellt worden, verließ die Stadt jedoch wenige Tage später wieder, nicht zuletzt aufgrund der zwing-
lianischen Grundstimmung in der Bevölkerung.113 Schließlich kam der Lutheraner Georg Melhorn, der aus
dem sächsischen Altenburg stammte und als Prediger in Augsburg tätig gewesen war, für mehrere Jahre
nach Ravensburg.114
Mit der Entlassung Willings und der Anstellung des zwar die Wittenberger Theologie vertretenden,
aber nicht weniger streitbaren Melhorn war der Grundstein zum Ravensburger Abendmahlsstreit gelegt,
der in den folgenden Jahren zahlreiche Bekenntnisschriften der Prädikanten hervorbrachte.115 In diesem
Konflikt setzten sich die Lutheranhänger um Melhorn schließlich durch, und im Januar 1557 stimmten die
zwinglianisch gesinnten Geistlichen, darunter die führenden Persönlichkeiten Peter Senner, Jakob Hillen-
son, Hans Mayr, Hans Kollöffel und Matthias Kröttlin einem der Wittenberger Theologie verpflichteten
Abendmahlsbekenntnis sowie den Lehrinhalten des Ravensburger Katechismus zu.116 Das Bekenntnis trägt
die Unterschriften von Egkolt, Senner, Kegel und Konstanzer, die es im Namen aller zwinglianischen
Geistlichen unterzeichneten.
Nachdem der Abendmahlsstreit mit diesem Bekenntnis beigelegt worden war, ging Georg Melhorn an
den Wiederaufbau eines nach Wittenberger Theologie ausgerichteten Kirchenwesens. Da Melhorn die Mit-
sprache der politischen Machthaber in kirchlichen Fragen jedoch rigoros ablehnte - etwa den Wunsch des
Rates, die Geistlichen bei ihrem Amtsantritt auf die Confessio Augustana zu verpflichten - musste er die
Stadt 1559 verlassen.117
10. Konkordie und Kirchenordnung 28. Januar 1578 (Text S. 500)
Obwohl die evangelische Gemeinde sich zur Confessio Augustana bekannte, setzte der reichsstädtische Rat
auch dann nicht seine Unterschrift darunter, als er 1561 von Herzog Christoph von Württemberg nach-
drücklich gedrängt wurde.118 Ravensburg verweigerte auch der Konkordienformel 1577 die Zustimmung.
Stattdessen erarbeiteten die vier Prediger und Kirchendiener ein eigenes Bekenntnis, das sie am 28. Januar
1578 in Gegenwart der Kirchenpfleger und etlicher Ratsmitglieder unterzeichneten und besiegelten.
In den ersten Artikeln beriefen sich die Verfasser auf die Lehren der Bibel, die Confessio Augustana,
Veit Dietrichs Summarien, die Nürnberger Agende, den großen Nürnberger und den kleinen Ravensburger
111 Die Bürgerschaft hatte eine Bittschrift gegen seine Ent-
lassung eingereicht, StadtA Ravensburg Bü 485c Nr. 9,
erwähnt bei Hofacker, Reformation, S. 120. Vgl.
Warmbrunn, Konfessionen, S. 205, allerdings mit der
abweichenden Jahresangabe 1553. Das Jahr 1557, wie
bei Dreher, Geschichte II, S. 765 angegeben, kann
ebenfalls nicht stimmen, da Willing bereits entlassen
war, als der Ravensburger Rat im Februar 1555 mit
Nürnberg Verhandlungen über die Anstellung eines Pre-
digers aufnahm. Vgl. auch Seeling, Willing, S. 33, ohne
Jahresangabe.
112 „Anfang und Progress“ (HStaatsA Stuttgart B 198 I,
Bü 38, p. 89): So haben die herren von Ravenspurg einem
praedicanten, der unrecht vom sacrament des altars gelehrt
haben solte, geurlaubt und an ein ersamen rath zu Nürnberg
begert, ihnen ein praedicanten zue schicken, der der Aug-
spurgischen Confession seye und die nürnbergisch oder wit-
tenbergische kirchenordnung, so sie zuvor durch herren
Blasi Stecklin, gewesen praedicanten zue Ravenspurg,
angericht worden. Vgl. Dreher, Geschichte II, S. 765;
Hofacker, Reformation, S. 119; Warmbrunn, Kon-
fessionen, S. 206.
113 Warmbrunn, Konfessionen, S. 206 Anm. 72; vgl. Hof-
acker, Reformation, S. 120.
114 Hofacker, Reformation, S. 120.
115 StadtA Ravensburg Bü 484-486.
116 Hofacker, Reformation, S. 121.
117 Hofacker, Reformation, S. 121; Warmbrunn, Kon-
fessionen, S. 206f.
118 Müller, Aktenstücke, S. 81-88.
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Willen der Bevölkerungsmehrheit entlassen,111 einerseits, weil seine Streitlust den städtischen Frieden
bedrohte, andererseits, weil der Rat den zwinglianischen Tendenzen entgegen wirken wollte.112 Das nicht
zuletzt politisch motivierte Bemühen des Rates, sich in der innerevangelischen Ausrichtung der Mehrheit
unter den südwestdeutschen Reichsständen anzuschließen, traf jedoch in der Bevölkerung nicht auf Gegen-
liebe. Der Nürnberger Lutheranhänger Michael Schmidt war im Februar 1555 als Prediger in Ravensburg
angestellt worden, verließ die Stadt jedoch wenige Tage später wieder, nicht zuletzt aufgrund der zwing-
lianischen Grundstimmung in der Bevölkerung.113 Schließlich kam der Lutheraner Georg Melhorn, der aus
dem sächsischen Altenburg stammte und als Prediger in Augsburg tätig gewesen war, für mehrere Jahre
nach Ravensburg.114
Mit der Entlassung Willings und der Anstellung des zwar die Wittenberger Theologie vertretenden,
aber nicht weniger streitbaren Melhorn war der Grundstein zum Ravensburger Abendmahlsstreit gelegt,
der in den folgenden Jahren zahlreiche Bekenntnisschriften der Prädikanten hervorbrachte.115 In diesem
Konflikt setzten sich die Lutheranhänger um Melhorn schließlich durch, und im Januar 1557 stimmten die
zwinglianisch gesinnten Geistlichen, darunter die führenden Persönlichkeiten Peter Senner, Jakob Hillen-
son, Hans Mayr, Hans Kollöffel und Matthias Kröttlin einem der Wittenberger Theologie verpflichteten
Abendmahlsbekenntnis sowie den Lehrinhalten des Ravensburger Katechismus zu.116 Das Bekenntnis trägt
die Unterschriften von Egkolt, Senner, Kegel und Konstanzer, die es im Namen aller zwinglianischen
Geistlichen unterzeichneten.
Nachdem der Abendmahlsstreit mit diesem Bekenntnis beigelegt worden war, ging Georg Melhorn an
den Wiederaufbau eines nach Wittenberger Theologie ausgerichteten Kirchenwesens. Da Melhorn die Mit-
sprache der politischen Machthaber in kirchlichen Fragen jedoch rigoros ablehnte - etwa den Wunsch des
Rates, die Geistlichen bei ihrem Amtsantritt auf die Confessio Augustana zu verpflichten - musste er die
Stadt 1559 verlassen.117
10. Konkordie und Kirchenordnung 28. Januar 1578 (Text S. 500)
Obwohl die evangelische Gemeinde sich zur Confessio Augustana bekannte, setzte der reichsstädtische Rat
auch dann nicht seine Unterschrift darunter, als er 1561 von Herzog Christoph von Württemberg nach-
drücklich gedrängt wurde.118 Ravensburg verweigerte auch der Konkordienformel 1577 die Zustimmung.
Stattdessen erarbeiteten die vier Prediger und Kirchendiener ein eigenes Bekenntnis, das sie am 28. Januar
1578 in Gegenwart der Kirchenpfleger und etlicher Ratsmitglieder unterzeichneten und besiegelten.
In den ersten Artikeln beriefen sich die Verfasser auf die Lehren der Bibel, die Confessio Augustana,
Veit Dietrichs Summarien, die Nürnberger Agende, den großen Nürnberger und den kleinen Ravensburger
111 Die Bürgerschaft hatte eine Bittschrift gegen seine Ent-
lassung eingereicht, StadtA Ravensburg Bü 485c Nr. 9,
erwähnt bei Hofacker, Reformation, S. 120. Vgl.
Warmbrunn, Konfessionen, S. 205, allerdings mit der
abweichenden Jahresangabe 1553. Das Jahr 1557, wie
bei Dreher, Geschichte II, S. 765 angegeben, kann
ebenfalls nicht stimmen, da Willing bereits entlassen
war, als der Ravensburger Rat im Februar 1555 mit
Nürnberg Verhandlungen über die Anstellung eines Pre-
digers aufnahm. Vgl. auch Seeling, Willing, S. 33, ohne
Jahresangabe.
112 „Anfang und Progress“ (HStaatsA Stuttgart B 198 I,
Bü 38, p. 89): So haben die herren von Ravenspurg einem
praedicanten, der unrecht vom sacrament des altars gelehrt
haben solte, geurlaubt und an ein ersamen rath zu Nürnberg
begert, ihnen ein praedicanten zue schicken, der der Aug-
spurgischen Confession seye und die nürnbergisch oder wit-
tenbergische kirchenordnung, so sie zuvor durch herren
Blasi Stecklin, gewesen praedicanten zue Ravenspurg,
angericht worden. Vgl. Dreher, Geschichte II, S. 765;
Hofacker, Reformation, S. 119; Warmbrunn, Kon-
fessionen, S. 206.
113 Warmbrunn, Konfessionen, S. 206 Anm. 72; vgl. Hof-
acker, Reformation, S. 120.
114 Hofacker, Reformation, S. 120.
115 StadtA Ravensburg Bü 484-486.
116 Hofacker, Reformation, S. 121.
117 Hofacker, Reformation, S. 121; Warmbrunn, Kon-
fessionen, S. 206f.
118 Müller, Aktenstücke, S. 81-88.
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