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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (22. Band = Nordrhein-Westfalen, 2): Das Erzstift Köln - die Grafschaften Wittgenstein, Moers, Bentheim-Tecklenburg und Rietberg - die Städte Münster, Soest und Neuenrade - die Grafschaft Lippe (Nachtrag) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.33493#0089
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Einleitung

Wittgensteiner Superintendent Caspar Hesselnbecher hatte bereits 1578 an der Dillenburger Synode teil-
genommen, die sich ausführlich mit der Einführung der Zweiten Reformation auseinandersetzte.77 Konkrete
Schritte auf dem Weg zur konfessionellen Verflächung unternahm Johann VI. auf der Dillenburger Synode
vom Mai 1582, an der auch Ludwig I. von Wittgenstein sowie Konrad von Solms-Braunfels teilnahmen. Bei
dieser Versammlung wurde über das Predigt- und Seniorenamt, die Almosenpflege und die Katechismusun-
terweisung beraten.78
Wie Georg Cornelius in seiner Berleburger Chronik berichtet, ließ Ludwig von Wittgenstein im gleichen
Jahr Altäre und Bilder aus den Kirchen entfernen: „hat unser G. Herr Grave Ludwig die Altar in den
Kirchen lassen abschaffen oder abbrechen und hölzern Tische anstat der Altar lassen verordnen, daß man
das Nachtmal forder darauf außtheilen solt“.79 Über diese Maßnahmen erregten sich nicht nur viele Gläu-
bige und Prediger in Wittgenstein, sondern auch Landgraf Ludwig von Hessen-Marburg, der lutherische
Lehnsherr der Grafschaft.80
Um das reformierte Bekenntnis gegen die Widerstände von innen und außen durchzusetzen, hatte Lud-
wig I. von Wittgenstein weitere reformierte Prediger in sein Land berufen: Der kurpfälzische Exulant
Johannes Wickrad81 (ca. 1545-1610) wurde 1579 Pfarrer in Berleburg, Paul Crocius82 (1551-1607), der als
Prinzenerzieher in Diensten Graf Johanns VI. von Nassau-Dillenburg gestanden hatte, 1584 Pfarrer in
Laasphe sowie Inspektor der Grafschaft und Nikolaus Gärtner, der das Heidelberger Sapienzkolleg besucht
hatte, 1585 zweiter Pfarrer in Berleburg.83
In seiner Funktion als Inspektor der Grafschaft stand Paul Crocius auch der Synode vor, die am 17.
März 1585 in Laasphe tagte. Die hier beratenen Punkte hielt er in einem „Memoriale“ (Nr. 10) fest.
Das Memoriale zeigt, auf welchem Stand sich die Zweite Reformation in der Grafschaft Wittgenstein in
diesem Jahr befand: Die Pfarrer beteuerten, ihre Gemeinden in ihren Predigten und durch die Vermittlung
des (Heidelberger) Katechismus zu unterweisen und forderten, dass die Polizeiordnung durchgesetzt würde.
Ferner belegt Crocius’ Protokoll, dass man die öffentliche Fürsorge ernst nahm, regelmäßige Visitationen
durchführte und sich um den Ausbau des Schulwesens bemühte.84

haus außerordentlich dicht gewoben, denn seine Tochter
Johannetta heiratete 1586 Graf Johann VI. von Nassau-
Dillenburg, ihre Schwester Amalia Johanns VI. Sohn ...
Georg 1605 [Johann VI. wurde damit zum Schwiegersohn
Ludwigs I. von Wittgenstein], ihre Schwester Katharina
Georgs Sohn Ludwig Heinrich 1615 und ihr Bruder Graf
Georg von Sayn Wittgenstein 1608 Graf Georgs Tochter
Maria Juliana. Damit war eine geradezu ungewöhnliche
Versippung der Häuser Nassau-Dillenburg und Sayn-
Wittgenstein hergestellt“, Demandt, Geschichte des
Landes Hessen, S. 517. Vgl. Düwell, Reformation 2012,
S. 67; Bildheim, Staatstheorien, S. 203-219; Paul,
Lothar, Nassauische Unionspläne. Untersuchungen zum
politischen Programm des deutschen Kalvinismus im
Zeitalter der Gegenreformation, Diss. phil. Münster
(Westf.), 1966.
77 Kroh, Wiederentdeckung, S. 56-61; Sehling, EKO X,
S. 35.
78 Vgl. Sehling, EKO X, S. 36f., Kroh, Wiederentdek-
kung, S. 61f.; Menk, Olevian, S. 186.
79 Zitiert nach Hartnack, Chroniken, S. 82. Vgl. Kroh,
Wiederentdeckung, S. 68. Anknüpfend an die 1568 mit
Bullinger geführte Diskussion um die Abschaffung der
Bildwerke in den Kirchen hatte Ludwig I. von Wittgen-
stein um 1570 Monstranzen, Messgewänder, Leuchter
und anderes Kirchengerät veräußern lassen. Dies geht aus

den Kirchenrechnungen von Erndtebrück und Schüllar
hervor, Bauer, Reformation Wittgenstein, S. 82; Kroh,
Wiederentdeckung, S. 56.
80 Schröer, Reformation 1, S. 454f.; Bauer, Reformation
Wittgenstein, S. 85-87; Hundt, St. Marien, S. 32f.;
Kroh, Wiederentdeckung, S. 57-59, 68f.
81 Johannes Wickrad stammte aus der Kurpfalz. Als refor-
mierter Theologe war er Inspektor in Bacharach gewesen,
verließ das Land jedoch, nachdem Ludwig VI. 1576 wie-
der das Luthertum eingeführt hatte, und trat 1577 in die
Dienste Ludwigs I. von Wittgenstein. Wickrad kehrte
zwar 1583 nach Bacharach zurück, war aber schon 1584
wieder im wittgensteinischen Berleburg tätig, wo er bis zu
seinem Tod 1610 blieb, Cuno, Blätter der Erinnerung,
S. 93-95; Kroh, Wiederentdeckung, S. 70.
82 Paul Crocius trat 1607 in die Dienste Landgraf Moritz’
von Hessen-Kassel und wurde Prediger in Langenschwal-
bach, starb hier jedoch im gleichen Jahr, Menk, Crocius,
S. 651-676; Cuno, Blätter der Erinnerung, S. 87-92;
Hinsberg, Kirchengemeinde Berleburg, S. 26; Bauer,
Reformation Wittgenstein, S. 88; Kroh, Wiederentdek-
kung, S. 70; Stupperich, Reformationsgeschichte,
S. 190; Schröer, Reformation 1, S. 454.
83 Bauer, Reformation Wittgenstein, S. 88.
84 Zum Inhalt siehe ebd., S. 90; Kroh, Wiederentdeckung,
S. 70f.; Herbers, Beiträge, S. 113f.

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