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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (22. Band = Nordrhein-Westfalen, 2): Das Erzstift Köln - die Grafschaften Wittgenstein, Moers, Bentheim-Tecklenburg und Rietberg - die Städte Münster, Soest und Neuenrade - die Grafschaft Lippe (Nachtrag) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.33493#0132
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Wittgenstein

3. Zum dritten, welche die verordnete und ver-
kündigte feiertage nicht heiligen, nicht zur predigt
gehen, ihre kinder und gesinde nicht fleissig zum ca-
techismo schicken, die hochwirdigen sacrament of-
fentlich verachten und nimmer oder langsam43 brau-
chen, dardurch sie ihre verachtung an tag geben.
4. Zum vierdten, die den eltern, pfarherrn und
vorgesetzten oberherrn mit beharlichem ohngehor-
sam wiederspenstig sein, auch eltern, pfarherrn und
herrn, die ihre kinder, gesinde unnd volck im herrn
nicht versorgen unnd auffziehen noch mit allem
fleiß und trew zur gottseligkeit, zucht und gerech-
tigkeit anhalten.
5. Zum fünfften, die gegen den negstenn öffent-
liche und beharliche feindschafft tragen und uben
und sich mit ihnen nicht wollen vertragenn oder ver-
sünen lassen, die sich undereinander schlagen und
reuffen oder einander auff waserley weise am leib
beschedigen und ohnheyl wunschen.
6. Zum sechsten, die offentliche ohnzucht trei-
ben mit schendlichen worten und wercken oder auch
des schweren argwon von sich geben und den nicht
abstellen wollen, item, die ihr ehegemahel nicht in
ehren halten, ohngeschicklicher weise gegen einan-
der ohnheußlich44 leben.
7. Zum siebenden, die dem negsten seinn gutt
mit list oder betrug heimlich oder öffentlich entzie-
hen, die narung auff dem felde mit pferden oder vie-
he verwüsten und abätzenn45, darzu gesunde,
starcke müssiggenger und bettler, |61v| so mit ihrer
faulheit ein beschwerung dem negsten sein, item, die
ihre eigene narung schendlich und viehischer weise
ohnmessig verbrassenn, tag und nacht im luder46 li-
gen und mit ohngeschicktem wesen ein gantze ge-
mein ohnruwig machenn.
8. Zum achten, die ihre[m] negsten durch offent-
lich schmehen und falsches schelten seine ehr und
guten namen rauben oder durch falsch zeugnuß dem
negsten schedlich zu sein erfundenn werdenn.
9. Zum neundten, die ihre nehesten mit ge-
schwinden, wucherischen finantzen47 wieder alle bil-
43 Selten.
44 Ausschweifend, Grimm, DWb 24, Sp. 1048f.
45 Abfressen, Grimm, DWb 1, Sp. 11.
46 In Schwelgerei leben, Grimm, DWb 12, Sp. 1232f.

ligkeit und löbliche ordnung beschweren, es sey in
gemeinen leihen, keuffen unnd verkeuffen, zinsen
oder gülten.
Wenn man nun bey einander nach verlesenen ar-
ticuln, ob etliche der obangezeigten mangel und ge-
brechen sich offentlicher und verfangener weise bey
jemandt zugetragen habe, gefragt hat, unnd solches
angezeiget wurd, soll mit den sündern oder uberfah-
rer auff folgende weise gehandelt werden.
Ist das delictum heimlich, nicht gantz und gar
gewiß oder etlichen bewust, soll mann der eltesten
einen oder zween zu ihm schicken unnd freundlich
darumb bereden lassen. Unnd so er auß derselben
anzeig vielleicht seiner sünde schwerde nicht erken-
nen und mit zusag besserung sein missethat leidt
sein würde lassen, vor den pfarherr und eltesten
samptlich beruffen unnd heimlich und freundlich
underweisen, damit nicht das heimliche, an tag ge-
bracht argernuß, welches, wenn es zugedeckt, were
verblieben, gebe. | 62r |
Da aber das laster offentlich, vielen oder menig-
lich bewust, sollen der pastor und eltesten fleissig
unnd vorsichtig48 sein, nach gestalt, grob- unnd
scheußlichkeit des lasters den siinder zuschelten und
straffen und nicht gering achten oder machen, wel-
ches schwer und groß ist, wie auch hinwiederumb.
Zum dritten soll und muß auch die natur der
person des siinders betracht werden. Denn etliche
sein, die nicht auß boßheit, sondern ohndacht49,
ohnwissenheit oder natürlicher, angeborner
schwachheit gesündiget haben und sündigen, mit
denen soll und muß gehandelt werden, wie Esaias
mit dem Ezechia gethan50.
Etliche aber sein, welche, ob sie gleich nit frech
und muttwillig, seind sie doch also in siinden ver-
blendet und erstarret, das sie dieselbigen nicht er-
kennen mögen. Die muß man also zu erkentnuß irer
siinden bringen und Gottes zorn, auch gerechtes ur-
theil, vor augen stellen, wie Nathan dem David,
2. Sam. 12. cap. [1-25]. Die aber verstockt, frech
und mutwillig, uber alle warnung, die ihnen in son-
47 Betrügereien vgl. Grimm, DWb 3, Sp. 1639.
48 Siehe oben, Anm. 16.
49 Unbedacht, arglos.
50 2Kön 19,1-20,11; 2Chr 32,1-33; Jes 38,1-21.

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