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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]; Arend, Sabine [Oth.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (22. Band = Nordrhein-Westfalen, 2): Das Erzstift Köln - die Grafschaften Wittgenstein, Moers, Bentheim-Tecklenburg und Rietberg - die Städte Münster, Soest und Neuenrade - die Grafschaft Lippe (Nachtrag) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.33493#0363
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Einleitung

4. Das Täuferreich und die anschließende Rekatholisierung der Stadt 1535
Die Duldung, die der städtische Magistrat den Anhängern der Täufer mit dem Beschluss vom 31. Januar
1534 (Nr. 5) gewährt hatte, trug dazu bei, dass sich die melchioritische Lehre in Münster verbreitete und
zahlreiche niederländische Täufer anzog, Mitte Januar sollen es bereits 1400 gewesen sein. Am 23. Februar
wurden mit Bernt Knipperdolling und Gerhard Kibbenbroick zwei Täuferanhänger zu Bürgermeistern
gewählt.88 Am selben Tag begann Bischof Franz von Waldeck die Stadt zu belagern und ordnete die Ver-
haftung aller Täufer und insbesondere Rothmanns an. Mitte Februar kam Jan Mathys selbst in die Stadt
und iibernahm als Prophet das Regiment. Am 27. Februar wurden alle diejenigen der Stadt verwiesen, die
sich nicht taufen lassen wollten. Sie mussten ihren Besitz zuriicklassen, ihr Widerstand wurde gewaltsam
niedergeschlagen, Schmuck und Bildwerke in den Kirchen wurden zerstört, die Gottesdienste fanden nicht
mehr in den Gotteshäusern, sondern unter freiem Ffimmel statt.
An Ostern 1534 (5. April) wurde Jan Mathys, der die belagerte Stadt mit einigen anderen verlassen
hatte, von den Landsknechten des Belagerungsheeres getötet. Zu seinem Nachfolger wurde Jan van Leiden
ernannt. Dieser schaffte die Ratsherrschaft ab und berief stattdessen zwölf Älteste. Am 31. August 1534
ließ er sich zum König eines chiliastischen Reichs innerhalb der Stadt ausrufen, hob die Ältestenverfassung
auf und besetzte die Ämter neu. Jan van Leiden hatte die Polygamie eingeführt, unterhielt einen Harem
und eine prunkvolle Hofhaltung, die in krassem Gegensatz zur hungernden Stadtbevölkerung stand. Der
König übte eine Schreckensherrschaft der Auserwählten aus, indem er die Stadtbewohner iiberwachen und
bei Verdacht auf Konspiration hinrichten ließ. Dieses Regiment der Täufer fand schließlich am 24./25. Juni
1535 ein Ende, als ein Kollaborateur ein Stadttor öffnete. Das Belagerungsheer drang in die Stadt und
schlug die Täuferherrschaft blutig nieder.
Nach dem Sieg des bischöflichen Heeres iiber die Täufer wurde der Vertrag, den die Stadt mit Bischof
Franz von Waldeck am 14. Februar 1533 geschlossen hatte (Nr. 2) und in dem dieser die Reformation in der
Stadt anerkannt hatte, nicht länger aufrecht erhalten. Obwohl die evangelischen Reichsstände, vor allem
Kursachsen und Hessen, darauf pochten, dass der Vertrag ungebrochen in Geltung sei,89 traf man schließ-
lich auf dem Landtag in Diilmen am 22. Juli 1535 eine neue Vereinbarung. Darin wurden die Protestanten
nicht nur von allen Verfassungsämtern der Stadt ausgeschlossen, sondern ihnen wurde auch jegliche Reli-
gionsausübung untersagte. Die geistliche Macht des Landesherrn in der Stadt Münster war damit wieder-
hergestellt. Auf der Wormser Konferenz der Reichskreise am 20. November 1535 wurde die Restituierung
des katholischen Glaubens in Münster schließlich förmlich verabschiedet.90

Aus der äußerst umfangreichen Forschungsliteratur zur
Herrschaft der Täufer in Münster seien nur einige zen-
trale Titel genannt: Behr, Franz von Waldeck I, S. 78-
191; Kirchhoff, Karl-Heinz, Das Phänomen des Täu-
ferreichs zu Münster 1534/35, in: Der Raum Westfalen
VI/1, Münster 1989, S. 277-422; ders., Die Endzeiterwar-
tung der Täufergemeinde zu Münster 1534/35. Gemein-
debildung unter dem Eindruck biblischer Verheißungen,
in: JWKG 78 (1985), S. 19-42; ders., Täufer im Münster-
land, S. 16-41; ders., Belagerung, S. 77-170; Klötzer,
Täuferherrschaft; Kluge, Dietrich, Die Rechts- und
Sittenordnung des Täuferreichs zu Münster, in: JWKG
69 (1976), S. 75-100; Neuhaus, Helmut, Das Reich
und die Wiedertäufer von Münster, in: WZ 133 (1983),
S. 9-36; RommE, Königreich; Stupperich, Schriften

Rothmanns; Vogler, Günter, Die Täuferherrschaft in
Münster und die Reichsstände. Die politische, religiöse
und militärische Dimension eines Konflikts in den Jahren
1534 bis 1536 (QFRG 88), Gütersloh 2014; Wolgast,
Eike, Herrschaftsorganisation und Herrschaftskrisen im
Täuferreich von Münster 1534/35, in: ders., Aufsätze zur
Reformations- und Reichsgeschichte (JusEcc 113),
Tübingen 2016, S. 537-558.
89 Nagel, Vertrag, S. 62f.; Krapf, Landgraf Philipp,
S. 175.
90 Duchhardt, Heinz, Protestanten und „Sektierer“ im
Sozial- und Verfassungsleben der Bischofsstadt im konfes-
sionellen Zeitalter, in: Jakobi, Geschichte der Stadt 1,
S. 222-224; Nagel, Vertrag, S. 109; Laubach, Refor-
mation, S. 213.

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