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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2006
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Jahresfeier am 20. Mai 2006
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Jäger, Willi: Mathematische Modelle und Computersimulation biologischer Prozesse: Realität in Silico?
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https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0025
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20. Mai 2006

37

WILLI JÄGER HÄLT DEN VORTRAG:
„MATHEMATISCHE MODELLE UND COMPUTERSIMULATION
BIOLOGISCHER PROZESSE. REALITÄT IN SILICO?"
1. Simulation und Natur — die mathematisch gedeutete Natur
Die wissenschaftliche Beschreibung der Natur durch formalisierte Gesetze, die Abbil-
dung der Wirklichkeit in mathematische Modelle, die Ableitung von Aussagen über
die reale Welt mit Hilfe solcher Modelle und ihrer Simulation auf Computern waren
Voraussetzungen für den Erfolg der Natur- und Technikwissenschaften. Der Einsatz
leistungsfähiger Rechnersysteme ermöglicht es heute, Datenmengen in einem Um-
fang zu verarbeiten, der noch vor kurzem nicht manipulierbar erschien, und eröffnet
der Forschung neue Perspektiven. Parallel arbeitende Rechnersysteme, die Hunderte
und Tausende von Einzelprozessoren von einander unabhängigen, mit einander
kommunizierenden Einzelrechnern zu Clustern zusammenfassen, machen es mög-
lich, hochkomplexe Prozesse zu simulieren, Computer als virtuelle Experimentier-
geräte einzusetzen. Dafür ist es natürlich notwendig, dass die interessierenden Vor-
gänge auf mathematisch formulierte, digitalisierbare Prozesse, auf Algorithmen abge-
bildet werden. [14, 20]
Computersimulationen liefern Approximationen an die Wirklichkeit, deren
Güte davon abhängt, wie gut die zugrunde liegenden mathematischen Modelle die
Realität beschreiben und wie zuverlässig die Daten sind, die in sie eingebracht werden
müssen. Während in der Physik und Chemie Modellbildung und Simulation zu
unverzichtbaren Werkzeugen der Forschung und deren Transfer in die Technologie
geworden sind, beginnen die Biowissenschaften erst jetzt, diese konsequent einzu-
setzen. Unbezweifelt ist ihr Wert in der Erfassung und der Verarbeitung von Infor-
mationen: Ohne modernste Computertechnologie und neue Rechenverfahren
wären zum Beispiel die umwälzenden Durchbrüche in der Molekularbiologie nicht
erzielt worden. Wenn es aber darum geht, die Prozesse zu verstehen, die in einer
Zelle, in einem Gewebe oder in einem Organ in vivo ablaufen, herrscht nach wie
vor Skepsis darüber vor, ob sie sich überhaupt mit mathematischen Modellen und
Computersimulationen erschließen lassen, obwohl diese in Physik oder Chemie sehr
erfolgreich arbeiten. Noch dominiert das qualitative Denken die quantitativen Kon-
zepte, die mit diesen Verfahren verbunden sind. Theoretische Konzepte von allge-
meinerer Bedeutung, wie sie etwa in physikalischen Theorien vorliegen, fehlen in
den Biowissenschaften. Geht man von dem Ansatz aus, dass alle biologischen Pro-
zesse letzten Endes physikalisch-chemische Prozesse sind, erkennt man sehr schnell,
dass es sich bei biologischen Systemen um hochkomplexe Netzwerke handelt, bei
denen jeder einzelne Knoten wiederum selbst hochkomplex sein kann. Dies bedeu-
tet aber, dass man Effekte und Strukturen zu erwarten hat, die nur durch die Wech-
selwirkung im System entstehen können. Die Komplexität biologischer Systeme und
deren neue Phänomene zu verstehen, erfordert sicherlich neue Konzepte in der
Modellierung, aber auch neue Computermethoden.
 
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