11. Februar 2006
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Philosophisch-historischen Klasse stellt die Vorschläge Leonhardt und Maran vor.
Alle drei Kandidaten werden als ordentliche Mitglieder zugewählt.
Der Präsident berichtet über die erfolgreiche Evaluierung der zweiten Gruppe von
WIN-Projekten „Die kulturellen Grundlagen der Europäischen Einigung“. In allen
drei Fällen haben die Gutachter die Verlängerung um zwei weitere Jahre empfohlen.
Ministerialrat Schnarrenberger (Ministerium für Wissenschaft und Kunst) hat an der
Begutachtung teilgenommen. Er hat der Akademie die Weiterführung der Finanzie-
rung des WIN-Programms in Aussicht gestellt. Die Akademie kann also daran gehen,
eine zweite Phase des Programms zu planen.
WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
Herr Johannes Siegrist hält einen Vortrag über das Thema „Ungleiche Gesundheits-
chancen in modernen Gesellschaften“.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse soziologischer Forschung auf dem Gebiet der
Medizin besagt, dass die meisten weitverbreiteten chronischen Krankheiten ebenso
wie die Lebenserwartung einem Verteilungsgesetz folgen, das als ‘sozialer Gradient’
bezeichnet wird. Dies bedeutet: Je höher der soziale Status einer Person ist, desto
besser ist ihre Gesundheit bzw. desto höher ist ihre Lebenserwartung. Dies gilt unab-
hängig davon, ob man den sozialen Status anhand des Bildungsabschlusses, der beruf-
lichen Stellung oder des Haushaltseinkommens erfasst. Die sozial geschichtete Mor-
bidität und Mortalität ist gesundheitspolitisch bedeutsam. So beträgt beispielsweise
die Differenz der Lebenserwartung zwischen der höchsten und niedrigsten sozialen
Schicht bei Männern in Finnland 6 Jahre und selbst in der reichen Schweiz 4,4 Jahre.
Auf der Suche nach einer Erklärung des sozialen Gradienten stößt man zunächst auf
das gesundheitsschädigende Verhalten. Ungesunde Ernährung, Zigarettenkonsum,
geringe körperliche Bewegung und Übergewicht finden sich deutlich häufiger in
bildungsschwächeren Schichten. Zugleich sind diese Bedingungen wichtige
Einflussfaktoren für die Entstehung chronischer Erkrankungen. Allerdings zeigen
umfangreiche Studien, dass der soziale Gradient, wenn auch abgeschwächt, bei
Berücksichtigung dieser Einflussfaktoren weiter bestehen bleibt, und zwar bei Män-
nern wie auch, etwas weniger ausgeprägt, bei Frauen. Diese Forschung konnte über-
dies nachweisen, dass das medizinische Versorgungssystem beim Zustandekommen
der erwähnten Unterschiede lediglich eine nachgeordnete Rolle spielt. Daher stellt
sich die Frage nach weiteren Erklärungsansätzen.
Verfolgt man anhand von Geburtskohortenstudien eine Lebenslaufperspektive,
so erkennt man den prägenden Einfluss von gesellschaftlichen Milieus auf Sozialisa-
tion und psychosoziale Entwicklungschancen von Kindern. Dieser Einfluss bildet, im
Verein mit genetischer Ausstattung, den Hintergrund einer spezifischen Vulnerabilität
für erhöhte Erkrankungsrisiken angesichts belastender Lebensumstände im Erwach-
senenalter. Bereits während der Schwangerschaft und in den für die Entwicklung des
Kindes entscheidenden ersten Lebensjahren entstehen schichtspezifische Benachtei-
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Philosophisch-historischen Klasse stellt die Vorschläge Leonhardt und Maran vor.
Alle drei Kandidaten werden als ordentliche Mitglieder zugewählt.
Der Präsident berichtet über die erfolgreiche Evaluierung der zweiten Gruppe von
WIN-Projekten „Die kulturellen Grundlagen der Europäischen Einigung“. In allen
drei Fällen haben die Gutachter die Verlängerung um zwei weitere Jahre empfohlen.
Ministerialrat Schnarrenberger (Ministerium für Wissenschaft und Kunst) hat an der
Begutachtung teilgenommen. Er hat der Akademie die Weiterführung der Finanzie-
rung des WIN-Programms in Aussicht gestellt. Die Akademie kann also daran gehen,
eine zweite Phase des Programms zu planen.
WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
Herr Johannes Siegrist hält einen Vortrag über das Thema „Ungleiche Gesundheits-
chancen in modernen Gesellschaften“.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse soziologischer Forschung auf dem Gebiet der
Medizin besagt, dass die meisten weitverbreiteten chronischen Krankheiten ebenso
wie die Lebenserwartung einem Verteilungsgesetz folgen, das als ‘sozialer Gradient’
bezeichnet wird. Dies bedeutet: Je höher der soziale Status einer Person ist, desto
besser ist ihre Gesundheit bzw. desto höher ist ihre Lebenserwartung. Dies gilt unab-
hängig davon, ob man den sozialen Status anhand des Bildungsabschlusses, der beruf-
lichen Stellung oder des Haushaltseinkommens erfasst. Die sozial geschichtete Mor-
bidität und Mortalität ist gesundheitspolitisch bedeutsam. So beträgt beispielsweise
die Differenz der Lebenserwartung zwischen der höchsten und niedrigsten sozialen
Schicht bei Männern in Finnland 6 Jahre und selbst in der reichen Schweiz 4,4 Jahre.
Auf der Suche nach einer Erklärung des sozialen Gradienten stößt man zunächst auf
das gesundheitsschädigende Verhalten. Ungesunde Ernährung, Zigarettenkonsum,
geringe körperliche Bewegung und Übergewicht finden sich deutlich häufiger in
bildungsschwächeren Schichten. Zugleich sind diese Bedingungen wichtige
Einflussfaktoren für die Entstehung chronischer Erkrankungen. Allerdings zeigen
umfangreiche Studien, dass der soziale Gradient, wenn auch abgeschwächt, bei
Berücksichtigung dieser Einflussfaktoren weiter bestehen bleibt, und zwar bei Män-
nern wie auch, etwas weniger ausgeprägt, bei Frauen. Diese Forschung konnte über-
dies nachweisen, dass das medizinische Versorgungssystem beim Zustandekommen
der erwähnten Unterschiede lediglich eine nachgeordnete Rolle spielt. Daher stellt
sich die Frage nach weiteren Erklärungsansätzen.
Verfolgt man anhand von Geburtskohortenstudien eine Lebenslaufperspektive,
so erkennt man den prägenden Einfluss von gesellschaftlichen Milieus auf Sozialisa-
tion und psychosoziale Entwicklungschancen von Kindern. Dieser Einfluss bildet, im
Verein mit genetischer Ausstattung, den Hintergrund einer spezifischen Vulnerabilität
für erhöhte Erkrankungsrisiken angesichts belastender Lebensumstände im Erwach-
senenalter. Bereits während der Schwangerschaft und in den für die Entwicklung des
Kindes entscheidenden ersten Lebensjahren entstehen schichtspezifische Benachtei-