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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2006
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 14. Juli 2006
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Schneidmüller, Bernd: Die Inszenierung des spätmittelalterlichen Reichs
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https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0071
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14. Juli 2006

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sehe Tradition prägte schließlich in unterschiedlichen Ausformungen die englische
Geschichte vom 13. Jahrhundert bis heute.
Im Reich, in England wie in Frankreich wurden also innerhalb weniger Jahre
unterschiedliche Herrschaftsmodellierungen für die Zukunft festgeschrieben, die
Königswahl im Imperium, die Blutsverwandtschaft in Frankreich oder die Aushand-
lung zwischen divergierenden Repräsentationsorganen in England. Solche Prinzipi-
en spiegelten die Spannweite monarchischer Ordnung im vormodernen Europa und
begleiteten die verschiedenen Entwicklungswege nationaler Geschichte. Ihre For-
men und Folgen wurden in der Forschung immer wieder beschrieben und bewer-
tet. Erst in jüngerer Zeit erkannte man deutlicher zeitliche Zusammenhänge und
Abhängigkeiten der Gesetzeswerke. Geringe Beachtung fand bisher die zeitliche
Nähe zur großen europäischen Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Dabei könn-
ten die neuen Verbindlichkeiten auch als Antworten auf diese gigantische Erschütte-
rung gelesen werden. Gegen tiefe Verunsicherung schufen das kaiserliche Rechts-
buch wie die französischen Krönungsordnungen und Ordonnanzen mit ihren sakra-
len Fundierungen und den Präsentationen kollegialer Körperlichkeiten neue
Gewissheiten.
Der Vortrag zielte nicht auf die häufig behandelten Themen von Königswahl
und Kurfürstenrechten in der Goldenen Bulle, sondern beschrieb die Ritualisierung
politischer Willensbildung und die Performanz hierarchischer Modelle in Konzen-
tration auf das römisch-deutsche Reich sowie in Vergleichen zu Frankreich und
England. Die verschiedenen Inszenierungen des Reichs vollzogen sich in unter-
schiedlichen Präsentationen von Königtum, Fürsten und beratenden Funktionseli-
ten, die in normativen Präskripten des 14. Jahrhunderts bis in Einzelheiten geregelt
wurden. Hinzu traten die Bilder politischer Ordnung. Trotz des „iconic turn“ der
letzten Jahre fehlen verlässliche Corpora für die bildlichen Konfigurationen von
Reich und Herrschaft im späteren Mittelalter. Folgende Forschungsperspektiven sol-
len darum verfolgt werden: In Frankreich konzentrierten sich die historisch-politi-
schen Illuminationen der Grandes Chroniques de France ganz wesentlich auf die
agnatische Herrscherlinie seit trojanischen Anfängen. Im Imperium entwickelte sich
dagegen eine vielschichtige Bilderwelt mit Darstellungen von Königen, Kurfürsten
und Gliedern des Reichs. Auch hier wurde inszeniert, in Wappenprogrammen an
Brunnen, Rathäusern oder Kirchen, in Figurenzusammenstellungen in illuminierten
Handschriften und Frühdrucken. Hartmann Schedels Weltchronik bot das Reich als
symbolisches Personenensemble. Quaternionenbilder des 15. und 16. Jahrhunderts
versammelten die Glieder des Reichs in Wappenbildern auf den Schwingen des
Adlers. Solche Fokussierungen in Momentaufnahmen fingen die verschiedenen
Ritualisierungen politischer Willensbildung im spätmittelalterlichen Europa ein und
verdienen eine ebenso dokumentierende wie vergleichende Bearbeitung.
 
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