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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2006
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Öffentliche Gesamtsitzung in Karlsruhe am 28. Oktober 2006
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Langewiesche, Dieter: Die Monarchie im bürgerlichen Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0086
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SITZUNGEN

dort durch, wo bisher der zusammengesetzte Staat sich behauptet hatte. Dieser Begriff,
den noch die Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts kannte, hat erst in unserer Zeit
in englischer Übersetzung als composite state oder composite monarchy wissenschaftliche
Karriere in der Frühneuzeitforschung gemacht.
Die Zukunft gehörte dem zentralisierten Machtstaat. An diesem Punkt zielten
Volksrevolution und Fürstenrevolution, wie schon Zeitgenossen die Vernichtung der
Kleinen nach 1800 genannt haben, in die gleiche Richtung: ein Generalangriff auf
den zusammengesetzten Staat durch Zentralisierung staatlicher Macht.
Der Wiener Kongreß legitimierte die Zerstörung Alteuropas, doch auch jetzt
wurde der zusammengesetzte Staat nicht ausgelöscht. Dies erläuterte der Vortrag mit
Blick auf die europäische Staatenwelt und auf den Deutschen Bund, der in die früh-
neuzeitliche Tradition des zusammengesetzten Staates eingeordnet wurde - eine Tra-
ditionswahrung, die den deutschen Einzelstaaten über ein halbes Jahrhundert lang
Bestandsschutz gewährte und eine spezifisch deutsche Form der Föderativnation
entstehen ließ. Die deutschen Monarchien waren ein zentraler Baustein in dieser
föderativen Konstruktion von Nation und Staat.
Auflösung der alteuropäischen Herrschaftsvielfalt, Zusammenfügen neuer
Staaten aus den Trümmern der alten Ordnung, schließlich deren Integration in den
Nationalstaat — diese schrittweise Machtkonzentration auf wenige Staaten ermög-
licht zu haben, ohne den großen europäischen Krieg auszulösen und ohne die
Gesellschaft in eine Kette von Revolutionen zu stürzen, wird man die wichtigste
Leistung der europäischen Monarchen im 19. Jahrhundert nennen dürfen.
Die demokratische Zukunftsverheißung am Ende des Ersten Weltkriegs hieß
Republik. Alle Verliererstaaten folgten ihr. Im Rückblick zeigt sich — so die Schluß-
these des Vortrags —, daß mit der Monarchie ohne zureichenden Ersatz damals die
Kern-Institution einer Mischverfassung aufgegeben wurde, die in ihrer langen
Geschichte seit der Antike em System der Machtteilung entwickelt hatte, das Macht-
mißbrauch durch Machtzentralisation erschwerte. Im Deutschland des 19. Jahrhun-
derts war die Monarchie im Einzelstaat und im Verhältnis zwischen ihm und dem
Nationalstaat zu einer solchen Institution aufgestiegen, die bei allen Unzulänglich-
keiten übergroßen Machtmißbrauch verhinderte. Es ist schwer vorzustellen, daß die
völlige Zerstörung der institutionellen Machtteilung im Staat — die Grundbedingung
für das nationalsozialistische Unrechtsregime — möglich gewesen wäre in einem
Deutschland parlamentarisierter Monarchien, im Reich und in den Ländern.
Das ist kein Versuch, den Verfassungsschöpfern von 1918/19 die Verantwortung
für das Geschehen im nationalsozialistisch beherrschten Europa aufzubürden. Der
Monarchensturz zielte auf Demokratisierung im Nationalstaat und durch ihn, schuf
aber zugleich ungewollt eine der institutionellen Voraussetzungen, daß der national-
sozialistische Bruch mit der kulturellen Tradition Europas so wirksam werden konn-
te, wie er es geworden ist.
Eine Veröffentlichung des erweiterten Vortragstextes in der Schriftenreihe der Aka-
demie ist vorgesehen.
 
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