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SITZUNGEN
Das Christentum verlor zwar den größten Teil des Mittelmeerraums an den
Islam, konstituierte aber dank der Entscheidung der Germanen für seine lateinische,
verschiedener Süd- und Ostslawen für seine griechische Variante das lateinische und
das orthodoxe Europa, von denen seine weitere Verbreitung ausgehen sollte. Das rus-
sische Reich brachte die Orthodoxie schließlich bis an den Pazifik.
Im Westen kam es zur weiteren Spaltung in eine alte Kirche, die sich weiter
„katholisch“ nannte, und verschiedene neue, die als „evangelisch“ oder „reformiert“
bezeichnet wurden. Diese neuen Kirchen waren aber aus theologischen wie prakti-
schen Gründen 200 Jahre lang kaum missionarisch tätig. Die katholische Variante des
Christentums hingegen gewann dank der iberischen Eroberung ganz Lateinamerika.
Dabei galt die 1441 bekräftigte und auch von den Protestanten geteilte Lehre,
dass alle nicht getauften Menschen ausnahmslos in der Hölle enden. Die jesuitischen
Chinamissionare des 17. Jahrhunderts allerdings besannen sich angesichts der Ratio-
nalität jener Hochkultur auf den allgemeinen Heilswillen Gottes und kamen zu dem
Schluss, dass auch Heiden mittels der gottgegebenen Vernunft zum ewigen Heil
gelangen könnten. „Heiliger Konfuzius, bitte für uns“ hieß es dann. Aber diese theo-
logische Sicht der Dinge sollte sich erst im 20. Jahrhundert, in der katholischen Kir-
che erst im 2.Vatikanischen Konzil durchsetzen.
Mit dem Ancien Regime brachen die katholischen Missionen vorübergehend
zusammen, während das 19. Jahrhundert die große Zeit der von den Erweckungs-
bewegungen beflügelten protestantischen Mission wurde. Jetzt erst wurde auch der
Protestantismus global. Seine Missionare gedachten, die „Wilden“ mit der Christia-
nisierung zu zivilisieren und strebten einheimische Kirchen an. Im Zeichen von
Imperialismus und Rassismus gegen Ende des Jahrhunderts wurden solche Anläufe
allerdings rückgängig gemacht, die Symbiose von Expansionspolitik und Mission
kam wieder häufiger vor und die Rivalität zwischen verschiedenen Missionen spie-
gelte diejenige zwischen den Nationen.
Während sich das Christentum durch die Siedlungskolonien des Britischen
Empire weiter ausbreitete, in Amerika schon seit dem 17. Jahrhundert, und in Afri-
ka Gewinne erzielte, blieben seine Erfolge in Asien begrenzt, obwohl es dort an
ältere Missionen anknüpfen konnte. Vor allem in China geriet es in das Gefolge des
Imperialismus, während sich die islamische Welt wie eh und je als bekehrungs-
resistent erwies.
In der Dekolonisation spielten zwar einzelne einheimische Christen, vor allem
evangelische Missionsschüler, eine große Rolle, aber die Kirchen hielten sich zurück.
Verfolgung durch totalitäre Regimes und allgemeiner Kulturwandel schienen
in Europa auf die finale Katastrophe des Christentums hinauszulaufen. Die Christen
rückten zusammen und sogar die katholische Kirche akzeptierte die Lehre vom Heil
der Ungetauften. Mission wurde durch internationale Hilfsorganisationen in den
Hintergrund gedrängt. Vor allem wurden jetzt einheimische Kirchen bejaht.
Mit erstaunlichem Erfolg, denn einem entchristlichten Europa steht ein
zunehmend verchristlichtes Afrika gegenüber; von 1965—2000 hat die Zahl der
Christen dort von 75 Mio auf 351 Mio zugenommen. Allerdings erfolgt diese jüng-
ste Phase der Globalisierung des Christentums nicht nur im Zeichen der etablierten
SITZUNGEN
Das Christentum verlor zwar den größten Teil des Mittelmeerraums an den
Islam, konstituierte aber dank der Entscheidung der Germanen für seine lateinische,
verschiedener Süd- und Ostslawen für seine griechische Variante das lateinische und
das orthodoxe Europa, von denen seine weitere Verbreitung ausgehen sollte. Das rus-
sische Reich brachte die Orthodoxie schließlich bis an den Pazifik.
Im Westen kam es zur weiteren Spaltung in eine alte Kirche, die sich weiter
„katholisch“ nannte, und verschiedene neue, die als „evangelisch“ oder „reformiert“
bezeichnet wurden. Diese neuen Kirchen waren aber aus theologischen wie prakti-
schen Gründen 200 Jahre lang kaum missionarisch tätig. Die katholische Variante des
Christentums hingegen gewann dank der iberischen Eroberung ganz Lateinamerika.
Dabei galt die 1441 bekräftigte und auch von den Protestanten geteilte Lehre,
dass alle nicht getauften Menschen ausnahmslos in der Hölle enden. Die jesuitischen
Chinamissionare des 17. Jahrhunderts allerdings besannen sich angesichts der Ratio-
nalität jener Hochkultur auf den allgemeinen Heilswillen Gottes und kamen zu dem
Schluss, dass auch Heiden mittels der gottgegebenen Vernunft zum ewigen Heil
gelangen könnten. „Heiliger Konfuzius, bitte für uns“ hieß es dann. Aber diese theo-
logische Sicht der Dinge sollte sich erst im 20. Jahrhundert, in der katholischen Kir-
che erst im 2.Vatikanischen Konzil durchsetzen.
Mit dem Ancien Regime brachen die katholischen Missionen vorübergehend
zusammen, während das 19. Jahrhundert die große Zeit der von den Erweckungs-
bewegungen beflügelten protestantischen Mission wurde. Jetzt erst wurde auch der
Protestantismus global. Seine Missionare gedachten, die „Wilden“ mit der Christia-
nisierung zu zivilisieren und strebten einheimische Kirchen an. Im Zeichen von
Imperialismus und Rassismus gegen Ende des Jahrhunderts wurden solche Anläufe
allerdings rückgängig gemacht, die Symbiose von Expansionspolitik und Mission
kam wieder häufiger vor und die Rivalität zwischen verschiedenen Missionen spie-
gelte diejenige zwischen den Nationen.
Während sich das Christentum durch die Siedlungskolonien des Britischen
Empire weiter ausbreitete, in Amerika schon seit dem 17. Jahrhundert, und in Afri-
ka Gewinne erzielte, blieben seine Erfolge in Asien begrenzt, obwohl es dort an
ältere Missionen anknüpfen konnte. Vor allem in China geriet es in das Gefolge des
Imperialismus, während sich die islamische Welt wie eh und je als bekehrungs-
resistent erwies.
In der Dekolonisation spielten zwar einzelne einheimische Christen, vor allem
evangelische Missionsschüler, eine große Rolle, aber die Kirchen hielten sich zurück.
Verfolgung durch totalitäre Regimes und allgemeiner Kulturwandel schienen
in Europa auf die finale Katastrophe des Christentums hinauszulaufen. Die Christen
rückten zusammen und sogar die katholische Kirche akzeptierte die Lehre vom Heil
der Ungetauften. Mission wurde durch internationale Hilfsorganisationen in den
Hintergrund gedrängt. Vor allem wurden jetzt einheimische Kirchen bejaht.
Mit erstaunlichem Erfolg, denn einem entchristlichten Europa steht ein
zunehmend verchristlichtes Afrika gegenüber; von 1965—2000 hat die Zahl der
Christen dort von 75 Mio auf 351 Mio zugenommen. Allerdings erfolgt diese jüng-
ste Phase der Globalisierung des Christentums nicht nur im Zeichen der etablierten