278 | FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
me des Wissens für politisch-administrative und ökonomische Belange reichen kön-
nen. In diesem letzteren Fall verblaßt die Selbstzweckhaftigkeit von Wissenschaft so
weitgehend, daß diese dann doch nahezu in ihren Anwendungsbezügen aufgeht:
Nicht mehr Wissenschaft ist dann der Beruf, sondern eine, wie immer beschaffene
praktische Tätigkeit, der sich (theoretisches) Wissen als Mittel zum Zweck zuordnet.
Dieser dialektische Grundcharakter professioneller Wissenschaft in Europa
steht nunmehr im Mittelpunkt der Arbeit der Projektgruppe, die damit ihre For-
schungen zur Geschichte und Typologie abendländischer Rationalität unter einem
leicht veränderten Aspekt weiterführt. Bislang galt das Interesse der bleibenden
Verschränkung der begrifflichen Rationalität mit der Dimension einer vor- und
überbegrifflichen und deshalb symbolisch repräsentierten Weltdeutung und -Orien-
tierung. An exemplarischen Ausschnitten konnte nachvollzogen werden, daß die
Geschichte des Denkens im Abendland seit dem frühen Hochmittelalter keineswegs
durch eine, allenfalls gebrochene, Rationalisierungs-, d.h. Verwissenschaftlichungsge-
schichte geprägt wird, durch die schrittweise Ablösung der sinnerschließenden Welt-
deutung durch das primär logisch regulierte Denken, wobei — etwa in der Ausein-
andersetzung zwischen ‘Dialektikern’ und ‘Antidialektikern’ — der verwissenschaftli-
chende Fortschritt einem älteren Fideismus und Obskurantismus geradezu abgerun-
gen worden wäre. Vielmehr hat sich bei eingehender Betrachtung bestätigt, daß die
Tendenz zur Verbegrifflichung sich einerseits bereits in der symbolischen Rationa-
lität angelegt findet, etwa dort, wo diese zwar die (geschaffene) Wirklichkeit als Zei-
chen auf ihren göttlichen Urheber hin auslegt und deshalb auch im Detail von viel-
fältig auslegbaren Bezeichnungsverhältnissen durchdrungen sieht, dabei aber doch
nach einer Kriteriologie für die Unterscheidung richtiger und falscher Interpreta-
tionen sucht und insbesondere auf die strenge Limitierung allegorisierender Ver-
ständnisweisen dringt. Andererseits ist das symbolische Weltverhältnis nicht a- oder
sogar irrational, insofern es etwa stets mit wunderbaren und gerade darin zeichen-
haften Einbrüchen in die gesetzmäßige Ordnung der Wirklichkeit rechnete; viel-
mehr setzt diese Rekonstruktion bereits die Beschränkung der Kompetenz der
menschlichen Vernunft auf den Bereich des kategorial Geordneten und Erkennba-
ren, also den Kurzschluß von Vernünftigkeit und Diskursivität voraus. Selbst dann
bleibt die begriffliche Rationalität jedoch auf eine vorgängige Ganzheitserkenntnis
als ihre Möglichkeitsbedingung angewiesen.
Wissenschaft ist also auch, nachdem sie sich aus einer konstitutiven Kontex-
tualität gelöst hat, nur in einem nun von außerhalb ihrer selbst umschriebenen
Rahmen theoretisch und praktisch möglich. Entsprechend ist die Etablierung der
hochmittelalterlichen Universität (als des primären Ortes professionellen Wissens)
nicht einfach Ausdruck der Freisetzung rationalisierter und professionalisierter
Wissenschaft: Vielmehr wohnt auch der mittelalterlichen Universität insofern eine
dialektische Struktur inne, als sie geradezu das Instrument darstellt, mit dessen Hilfe
Kirche und staatlich-weltliche Gewalt eine gesteigerte Geltungsansprüche erheben-
de Wissenschaft redintegrieren. Damit geht zugleich die Zuweisung von Funktionen
an Wissenschaft und Wissenschaftler einher: Die Universität kann als geregelte und
kontrollierte Einrichtung eine Ausbildungsstätte werden, die nützliches Wissen
me des Wissens für politisch-administrative und ökonomische Belange reichen kön-
nen. In diesem letzteren Fall verblaßt die Selbstzweckhaftigkeit von Wissenschaft so
weitgehend, daß diese dann doch nahezu in ihren Anwendungsbezügen aufgeht:
Nicht mehr Wissenschaft ist dann der Beruf, sondern eine, wie immer beschaffene
praktische Tätigkeit, der sich (theoretisches) Wissen als Mittel zum Zweck zuordnet.
Dieser dialektische Grundcharakter professioneller Wissenschaft in Europa
steht nunmehr im Mittelpunkt der Arbeit der Projektgruppe, die damit ihre For-
schungen zur Geschichte und Typologie abendländischer Rationalität unter einem
leicht veränderten Aspekt weiterführt. Bislang galt das Interesse der bleibenden
Verschränkung der begrifflichen Rationalität mit der Dimension einer vor- und
überbegrifflichen und deshalb symbolisch repräsentierten Weltdeutung und -Orien-
tierung. An exemplarischen Ausschnitten konnte nachvollzogen werden, daß die
Geschichte des Denkens im Abendland seit dem frühen Hochmittelalter keineswegs
durch eine, allenfalls gebrochene, Rationalisierungs-, d.h. Verwissenschaftlichungsge-
schichte geprägt wird, durch die schrittweise Ablösung der sinnerschließenden Welt-
deutung durch das primär logisch regulierte Denken, wobei — etwa in der Ausein-
andersetzung zwischen ‘Dialektikern’ und ‘Antidialektikern’ — der verwissenschaftli-
chende Fortschritt einem älteren Fideismus und Obskurantismus geradezu abgerun-
gen worden wäre. Vielmehr hat sich bei eingehender Betrachtung bestätigt, daß die
Tendenz zur Verbegrifflichung sich einerseits bereits in der symbolischen Rationa-
lität angelegt findet, etwa dort, wo diese zwar die (geschaffene) Wirklichkeit als Zei-
chen auf ihren göttlichen Urheber hin auslegt und deshalb auch im Detail von viel-
fältig auslegbaren Bezeichnungsverhältnissen durchdrungen sieht, dabei aber doch
nach einer Kriteriologie für die Unterscheidung richtiger und falscher Interpreta-
tionen sucht und insbesondere auf die strenge Limitierung allegorisierender Ver-
ständnisweisen dringt. Andererseits ist das symbolische Weltverhältnis nicht a- oder
sogar irrational, insofern es etwa stets mit wunderbaren und gerade darin zeichen-
haften Einbrüchen in die gesetzmäßige Ordnung der Wirklichkeit rechnete; viel-
mehr setzt diese Rekonstruktion bereits die Beschränkung der Kompetenz der
menschlichen Vernunft auf den Bereich des kategorial Geordneten und Erkennba-
ren, also den Kurzschluß von Vernünftigkeit und Diskursivität voraus. Selbst dann
bleibt die begriffliche Rationalität jedoch auf eine vorgängige Ganzheitserkenntnis
als ihre Möglichkeitsbedingung angewiesen.
Wissenschaft ist also auch, nachdem sie sich aus einer konstitutiven Kontex-
tualität gelöst hat, nur in einem nun von außerhalb ihrer selbst umschriebenen
Rahmen theoretisch und praktisch möglich. Entsprechend ist die Etablierung der
hochmittelalterlichen Universität (als des primären Ortes professionellen Wissens)
nicht einfach Ausdruck der Freisetzung rationalisierter und professionalisierter
Wissenschaft: Vielmehr wohnt auch der mittelalterlichen Universität insofern eine
dialektische Struktur inne, als sie geradezu das Instrument darstellt, mit dessen Hilfe
Kirche und staatlich-weltliche Gewalt eine gesteigerte Geltungsansprüche erheben-
de Wissenschaft redintegrieren. Damit geht zugleich die Zuweisung von Funktionen
an Wissenschaft und Wissenschaftler einher: Die Universität kann als geregelte und
kontrollierte Einrichtung eine Ausbildungsstätte werden, die nützliches Wissen