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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

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II. Wissenschaftliche Vorträge

Ralf von den Hoff
„Pragmatische Klassizismen? Zur Wiederverwendung klassischer
griechischer Grabreliefs im Hellenismus und in der römischen
Kaiserzeit"
Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 20. Januar 2023
In den antiken griechisch-römischen Kulturen lassen sich Nekropolen nur bedingt
als „Heterotopien" beschreiben, wie es Michel Foucault für europäische ,Friedhö-
fe' seit der Frühen Neuzeit vorgeschlagen hat. Auch eine antike Nekropole war
ein für Gräber reservierter Raum, eine „Totenstadt", und ein Ort von Ritualen der
Erinnerung an Verstorbene. Sie lag abseits der zentralen politischen, wirtschaftli-
chen und religiösen Räume der Städte: vor den Stadtmauern. Allerdings fand man
die Gräber antiker Nekropolen ohne Ummauerung direkt an den Ein- und Aus-
fallstraßen - auch neben Heiligtümern und kleineren Wirtschaftsbetrieben. Man
musste an ihnen vorbei, wenn man die Stadt betrat oder verließ, und sah also regel-
mäßig und unvermeidlich, wie die lokale Bevölkerung ihrer Verstorbenen gedach-
te. Die Belegung einer antiken Nekropole dauerte zudem oft über Jahrhunderte,
und das auch monumental: Vor den Mauern Athens beispielsweise standen noch
im 2.Jh. n. Chr. Grabmäler des 4.Jh. v. Chr. Antike Nekropolen waren also Stätten
einer besonderen longue duree. Anders als neuzeitliche ,Friedhöfe' waren sie dauer-
haft öffentlich in den Blick gerückte Erinnerungsspeicher und relativ unmittelbar in
die jeweilige Gegenwart eingebunden.
Die bisherige Forschung hat dieses Charakteristikum antiker Nekropolen und
den Umgang damit kaum in den Blick genommen. Anhand der heute am reichs-
ten durch Funde und Befunde bezeugten und am besten erforschten Nekropole
des antiken Athen, des sogenannten Kerameikos, der über mehr als 1200 Jahre,
vom 10.Jh. v. Chr. bis ins 2/3.Jh. n. Chr., zur Grablegung genutzt wurde, sollen im
Folgenden vorläufige Überlegungen zur visuellen Seite des Phänomens skizziert
werden.
Gegen 430 v. Chr. begann man dort in den Grabbezirken der Familien steiner-
ne Grabdenkmäler zu errichten. Sie standen im Abstand von den Gräbern selbst
vorne, am Rand der Stützmauern der Grabbezirke zur Straße hin, damit sie Vor-
beigehende als das wichtigste Publikum gut sahen. Es handelte sich um ca. 1,5
bis 2 m hohe figürliche Reliefs aus Marmor (Abb. 1), kleinere Reliefstelen und
marmorne, monumentalisierte Grabgefäße, die ebenfalls mit figürlichen Reliefs
versehen sein konnten. Etwa 2000 solcher attischen Grabreliefs sind uns erhalten.

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