II. Wissenschaftliche Vorträge
Dies bestätigt die Zuweisung der Umarbeitungen an finanziell eher weniger po-
tente Auftraggeber.
Wenig können wir bisher über die konkreten Verwendungspraktiken der
wiedergenutzten Grabreliefs sagen: Blieben sie an ihren alten Orten stehen, und
wurden die Grabbezirke anderen Familien überlassen? Oder wurden die Reliefs
versetzt, unter Umständen auch länger in Werkstätten als Rohmaterial gelagert?
Letzteres lässt sich nachweisen, aber sonstige Befunde fehlen uns.
Wie kam es zu den Wiederverwendungen, und wie sind sie kulturell und so-
zial einzuordnen? Es liegt zunächst nahe, dass man Altreliefs weiter- und wieder-
nutzte, weil seit 310 zunächst keine neuen aufgestellt werden durften. Als dies
in der römischen Kaiserzeit wieder gestattet war, endete die Wiederverwendung
gleichwohl nicht. Sie lässt sich also nicht einfach als Konsequenz des Verbots oder
Reaktion auf einen Mangel erklären, zumal Weiternutzung von Grabreliefs längst
üblich war. Ein zweiter Faktor ist pragmatisch-ökonomischer Natur. Es handelt
sich um Marmorreliefs, und Marmor war ein wertvoller Rohstoff. Der Kerameikos
hielt ausreichend viele alte Marmorreliefs bereit. Bildhauer und Auftraggeber - vor
allem weniger finanzkräftige - könnten bestrebt gewesen sein, das billig verfügbare
Altmaterial so lange es ging mit möglichst wenig Arbeitsaufwand zu ,recyceln'.
Nicht außer Acht zu lassen sind aber die Effekte, die eine solche Praxis nach
sich zog. Die Wiedernutzung alter Grabreliefs geschah in einer uralten Nekropole,
die weiter in Funktion blieb. Sie geschah damit nicht in einem leblosen Museum
von Monumenten, sondern in einem lebendigen Raum der Erinnerungspraxis.
Dort erfuhr man durch die wiederbenutzten Reliefs - und durch die vielen ste-
hengebliebenen - ein besonderes visuelles Kontinuum von Vergangenheit und
Gegenwart. Selbst also, wenn die Wiedernutzung alter Grabreliefs vorderhand aus
pragmatischen oder ökonomischen Gründen geschah, ihre Folge war eine zusätzli-
che integrative Einschreibung von aktuellen Grabdenkmälern in die Vergangenheit
der Stadt. Im Tode waren dadurch alte und neue Athener visuell eng verbunden.
Dies lässt sich in einen größeren Rahmen stellen. Die griechisch-römische
Antike kannte viele retrospektive Bezugnahmen auf Vergangenheiten, die als ex-
emplarisch angesehen und deshalb als klassisch bezeichnet wurden, also ,Klassi-
zismen'. Die ,Klassik', das 5. und 4. Jh. v. Chr., galt spätestens im Hellenismus als
vorbildliche Epoche in diesem Sinn. Klassizismen von Bildwerken traten seit dem
Hellenismus im griechischen Kulturraum, vor allem aber in Rom auf, wo man sich
auch Artefakte der ,klassischen Epoche' aneignete und seit der Zeit des Augustus
,klassische' Bildwerke systematisch kopierte, imitierte und weiterentwickelte. All
dies mag auch darin begründet gewesen sein, dass Klassisches in Griechenland
immer sichtbar und verfügbar blieb; es gab aber auch ein konkretes Interesse an
dieser Vergangenheit und zwar von Seiten der Eliten. Ihm lag der legitimatorische
Verweis auf vorbildliches Vergangenes zugrunde, keine Pragmantik der Wieder-
veiwendung.
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Dies bestätigt die Zuweisung der Umarbeitungen an finanziell eher weniger po-
tente Auftraggeber.
Wenig können wir bisher über die konkreten Verwendungspraktiken der
wiedergenutzten Grabreliefs sagen: Blieben sie an ihren alten Orten stehen, und
wurden die Grabbezirke anderen Familien überlassen? Oder wurden die Reliefs
versetzt, unter Umständen auch länger in Werkstätten als Rohmaterial gelagert?
Letzteres lässt sich nachweisen, aber sonstige Befunde fehlen uns.
Wie kam es zu den Wiederverwendungen, und wie sind sie kulturell und so-
zial einzuordnen? Es liegt zunächst nahe, dass man Altreliefs weiter- und wieder-
nutzte, weil seit 310 zunächst keine neuen aufgestellt werden durften. Als dies
in der römischen Kaiserzeit wieder gestattet war, endete die Wiederverwendung
gleichwohl nicht. Sie lässt sich also nicht einfach als Konsequenz des Verbots oder
Reaktion auf einen Mangel erklären, zumal Weiternutzung von Grabreliefs längst
üblich war. Ein zweiter Faktor ist pragmatisch-ökonomischer Natur. Es handelt
sich um Marmorreliefs, und Marmor war ein wertvoller Rohstoff. Der Kerameikos
hielt ausreichend viele alte Marmorreliefs bereit. Bildhauer und Auftraggeber - vor
allem weniger finanzkräftige - könnten bestrebt gewesen sein, das billig verfügbare
Altmaterial so lange es ging mit möglichst wenig Arbeitsaufwand zu ,recyceln'.
Nicht außer Acht zu lassen sind aber die Effekte, die eine solche Praxis nach
sich zog. Die Wiedernutzung alter Grabreliefs geschah in einer uralten Nekropole,
die weiter in Funktion blieb. Sie geschah damit nicht in einem leblosen Museum
von Monumenten, sondern in einem lebendigen Raum der Erinnerungspraxis.
Dort erfuhr man durch die wiederbenutzten Reliefs - und durch die vielen ste-
hengebliebenen - ein besonderes visuelles Kontinuum von Vergangenheit und
Gegenwart. Selbst also, wenn die Wiedernutzung alter Grabreliefs vorderhand aus
pragmatischen oder ökonomischen Gründen geschah, ihre Folge war eine zusätzli-
che integrative Einschreibung von aktuellen Grabdenkmälern in die Vergangenheit
der Stadt. Im Tode waren dadurch alte und neue Athener visuell eng verbunden.
Dies lässt sich in einen größeren Rahmen stellen. Die griechisch-römische
Antike kannte viele retrospektive Bezugnahmen auf Vergangenheiten, die als ex-
emplarisch angesehen und deshalb als klassisch bezeichnet wurden, also ,Klassi-
zismen'. Die ,Klassik', das 5. und 4. Jh. v. Chr., galt spätestens im Hellenismus als
vorbildliche Epoche in diesem Sinn. Klassizismen von Bildwerken traten seit dem
Hellenismus im griechischen Kulturraum, vor allem aber in Rom auf, wo man sich
auch Artefakte der ,klassischen Epoche' aneignete und seit der Zeit des Augustus
,klassische' Bildwerke systematisch kopierte, imitierte und weiterentwickelte. All
dies mag auch darin begründet gewesen sein, dass Klassisches in Griechenland
immer sichtbar und verfügbar blieb; es gab aber auch ein konkretes Interesse an
dieser Vergangenheit und zwar von Seiten der Eliten. Ihm lag der legitimatorische
Verweis auf vorbildliches Vergangenes zugrunde, keine Pragmantik der Wieder-
veiwendung.
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