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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

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II. Wissenschaftliche Vorträge

Staatliche Förderung wäre hier wichtig, damit gerade auch Fairness im Sinne sozi-
aler Gerechtigkeit gewahrt wird.
Insofern ist auch Zurückhaltung bei der euphorischen Verkündung der
Verlängerung der Gesundheitsspanne geboten. Letztlich ist die internationale
Forschung gut beraten, Zurückhaltung und Bescheidenheit bei den Anwendungs-
möglichkeiten auf den Menschen walten zu lassen. Die wissenschaftliche Arbeit
muss zuerst getan werden, bevor Hoffnungen - gerade bei älteren Menschen -
geschürt werden.
Und es stellt sich auch durchaus die Frage, ob diese Verlängerung der Ge-
sundheitsspanne immer mit einem guten Leben vergesellschaftet ist. Was gutes Le-
ben meint, ist sehr individuell und hängt von individuellen Präferenzen ab. Wird
die biowissenschaftliche Forschung aber diese individuellen Präferenzen des guten
Lebens im Blick haben, wenn das Forschungsziel einer verlängerten Gesundheits-
spanne verfolgt wird? Inwieweit werden also individuelle Präferenzen des guten
Lebens in die Tat umgesetzt werden? Dies wäre aber wichtig, um neben der Ver-
längerung der Gesundheitsspanne auch gutes Leben zu ermöglichen. Denn darum
wird es im Kern gehen, gutes Leben für den einzelnen Menschen zu ermöglichen
- mit oder ohne Verlängerung der Gesundheitsspanne. Diese Forschung wird auch
hinsichtlich der Fairness und der einzulösenden sozialen Gerechtigkeit kritisch zu
verfolgen sein. Denn es ist keineswegs gesagt, dass jeder Mensch weltweit hier-
von gleichermaßen wird profitieren können. Und nicht zuletzt darf man nicht
vergessen, welches Zeichen man mit solch euphorischer Botschaft der Verlänge-
rung der Gesundheitsspanne auch in die Welt setzt. Ja, in Anbetracht der weltwei-
ten Zunahme gebrechlicher Menschen scheint es in der Tat erstrebenswert, die
Gesundheitsspanne zu verlängern im Sinne eines guten Lebens. Aber was heißt
das sozial - sowohl für den Mikrokosmos Familie als auch für den Makrokosmos
Gesellschaft? Kann sich dann der Nächste in der Familie zurücklehnen, da kein
Kümmerbedarf mehr gegenüber seinem Lieben besteht? Und gleiches dann viel-
leicht gar noch für die Gesellschaft ganz und gar? Das so wichtige und menschli-
che Kümmern um den Nächsten steht also in Gefahr überflüssig zu werden, wenn
jede und jeder dann eine verlängerte Gesundheitsspanne haben wird und gut lebt.
Ganz schön einsam könnte es dann in dieser unserer Welt werden.
Literatur
Nussbaum MC. Die Grenzen der Gerechtigkeit. Behinderung, Nationalität und Spezieszu-
gehörigkeit. Frankfurt: Suhrkamp 2014.

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