Vortrag von Christoph Markschies
migkeit prägte, an solchen psychohistorischen Brückenschlägen zwischen Person,
Werk und Wirken irgendeinen Gefallen gefunden hätte. Öffentlich gab er davon
höchstens indirekt Zeugnis, beispielsweise, als er 1995 anlässlich der Übergabe des
Ordenszeichens des Ordens Pour le merite nicht nur „eine gewisse Bänglichkeit"
angesichts der Zuwahl eiwähnte, „die daraus folgt, daß man sich auf eine Tradition
verpflichtet weiß, die durch Namen wie Johannes Brahms oder Theodor Momm-
sen gekennzeichnet ist", sondern auf seine „schlichte Freude" hinwies, ,„wie das
Kind zur Weihnachtsgabe', hätte Matthias Claudius gesagt"3. Der unmittelbare
Kontext beim Wandsbeker Dichter „Ich danke Gott und freue mich / wie's Kind
zur Weihnachtsgabe, / daß ich hier bin!" blieb aber unausgesprochen und wurde
dezent beim festlichen Auditorium in der Bonner Universitätsaula vorausgesetzt.
Mir scheint allerdings, dass man diese Zusammenhänge in unserem Kontext min-
destens erwähnen muss, da das Verständnis für solche feinen Anspielungen sicher
in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht gewachsen ist.
Explizit hat Albrecht Dihle bei der Herleitung seiner Interessen am The-
menfeld Antike und Christentum auf einen heute nur noch unter Fachgelehr-
ten bekannten Göttinger Lehrer hingewiesen, dessen Forschungsschwerpunkte
allerdings angesichts der Akzente, die Dihle dann selbst setzte, auf den ersten
Blick merkwürdig wirken. Die Rede ist von dem christlichen Archäologen und
römisch-katholischen Priester Alfons Maria Schneider (1896-1952), einem Ge-
lehrten von umfassender theologischer, philologisch-historischer, orientalistischer
und archäologisch-kunsthistorischer Bildung, der seit 1939 an der Göttinger phi-
losophischen Fakultät als Dozent für Byzantinische und Frühislamische Architek-
tur und Kunstgeschichte wirkte. Bekannt geworden ist Schneider vor allem durch
seine Ausgrabungen byzantinischer Heiligtümer im Heiligen Land auf dem Gari-
zim und am See Genezareth, im Baukomplex der Hagia Sophia und der Landmau-
er in Konstantinopel/Istanbul.4 Dihle, der Schneider im Jahre 2007 in der „Neuen
Deutschen Biographie" einen präzisen Lexikonartikel mit einer überaus freund-
lichen Charakterisierung gewidmet hat, wurde zusammen mit einem Freund,
dem Mittelalterhistoriker Reinhard Elze (1922—2000), bis zu dessen Weggang
nach Rom und später bis 1952 allein von Schneider durch wöchentliche Privat-
stunden in die ganze spätantike und byzantinische Welt weit über den Kanon des
klassischen humanistischen Gymnasiums eingeführt. Über fünfzig Jahre später
bescheinigte Dihle diesem Lehrer „umfassende Gelehrsamkeit und ausgedehnte
3 Die Laudatio von Bernhard Andrae und die Antwort von Dihle aus dem Jahrbuch des Or-
dens sind auch im Internet zugänglich: https://www.orden-pourlemerite.de/sites/default/files/
dokumente/laudatio/dihle-laudatio.pdf (letzter Zugriff am 07.03.2024).
4 Alfons Maria Schneider, Reticulum. Ausgewählte Aufsätze und Katalog seiner Sammlungen,
hg. v. Hans Reinhard Seeliger, Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsband 25,
Münster 1998 (mit Rez. v. Christoph Markschies, Zeitschrift für Kirchengeschichte 110, 1999,
260-264).
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migkeit prägte, an solchen psychohistorischen Brückenschlägen zwischen Person,
Werk und Wirken irgendeinen Gefallen gefunden hätte. Öffentlich gab er davon
höchstens indirekt Zeugnis, beispielsweise, als er 1995 anlässlich der Übergabe des
Ordenszeichens des Ordens Pour le merite nicht nur „eine gewisse Bänglichkeit"
angesichts der Zuwahl eiwähnte, „die daraus folgt, daß man sich auf eine Tradition
verpflichtet weiß, die durch Namen wie Johannes Brahms oder Theodor Momm-
sen gekennzeichnet ist", sondern auf seine „schlichte Freude" hinwies, ,„wie das
Kind zur Weihnachtsgabe', hätte Matthias Claudius gesagt"3. Der unmittelbare
Kontext beim Wandsbeker Dichter „Ich danke Gott und freue mich / wie's Kind
zur Weihnachtsgabe, / daß ich hier bin!" blieb aber unausgesprochen und wurde
dezent beim festlichen Auditorium in der Bonner Universitätsaula vorausgesetzt.
Mir scheint allerdings, dass man diese Zusammenhänge in unserem Kontext min-
destens erwähnen muss, da das Verständnis für solche feinen Anspielungen sicher
in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht gewachsen ist.
Explizit hat Albrecht Dihle bei der Herleitung seiner Interessen am The-
menfeld Antike und Christentum auf einen heute nur noch unter Fachgelehr-
ten bekannten Göttinger Lehrer hingewiesen, dessen Forschungsschwerpunkte
allerdings angesichts der Akzente, die Dihle dann selbst setzte, auf den ersten
Blick merkwürdig wirken. Die Rede ist von dem christlichen Archäologen und
römisch-katholischen Priester Alfons Maria Schneider (1896-1952), einem Ge-
lehrten von umfassender theologischer, philologisch-historischer, orientalistischer
und archäologisch-kunsthistorischer Bildung, der seit 1939 an der Göttinger phi-
losophischen Fakultät als Dozent für Byzantinische und Frühislamische Architek-
tur und Kunstgeschichte wirkte. Bekannt geworden ist Schneider vor allem durch
seine Ausgrabungen byzantinischer Heiligtümer im Heiligen Land auf dem Gari-
zim und am See Genezareth, im Baukomplex der Hagia Sophia und der Landmau-
er in Konstantinopel/Istanbul.4 Dihle, der Schneider im Jahre 2007 in der „Neuen
Deutschen Biographie" einen präzisen Lexikonartikel mit einer überaus freund-
lichen Charakterisierung gewidmet hat, wurde zusammen mit einem Freund,
dem Mittelalterhistoriker Reinhard Elze (1922—2000), bis zu dessen Weggang
nach Rom und später bis 1952 allein von Schneider durch wöchentliche Privat-
stunden in die ganze spätantike und byzantinische Welt weit über den Kanon des
klassischen humanistischen Gymnasiums eingeführt. Über fünfzig Jahre später
bescheinigte Dihle diesem Lehrer „umfassende Gelehrsamkeit und ausgedehnte
3 Die Laudatio von Bernhard Andrae und die Antwort von Dihle aus dem Jahrbuch des Or-
dens sind auch im Internet zugänglich: https://www.orden-pourlemerite.de/sites/default/files/
dokumente/laudatio/dihle-laudatio.pdf (letzter Zugriff am 07.03.2024).
4 Alfons Maria Schneider, Reticulum. Ausgewählte Aufsätze und Katalog seiner Sammlungen,
hg. v. Hans Reinhard Seeliger, Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsband 25,
Münster 1998 (mit Rez. v. Christoph Markschies, Zeitschrift für Kirchengeschichte 110, 1999,
260-264).
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