III. Veranstaltungen
seiner tiefen Kenntnis der Homilien des Johannes Chiysostomus profitieren und
selbst die damals chaotisch edierten Apophthegmata Patrum sind ihm offenkundig
bestens vertraut. Und doch prägt den Artikel eine Teleologie der paganen Antike
auf das Christentum hin, die sich in späteren Arbeiten von Dihle so explizit nicht
findet: Die Antike hat nach dem frühen Dihle keine echte Vorstufe der christlichen
Demutslehre entwickelt, aber ihr durch das angeblich starre Stufendenken den
Boden bereitet.20
Eine derartig offene, in der Konzentration auf Augustinus auch klassische
protestantische Fortschrittsgeschichte hat Dihle später nicht mehr so deutlich entfaltet,
aber sie prägt gleichwohl weiter seine Modellierungen der Beziehungen zwischen
„Antike" und „Christentum". Das merkt man im nächsten großen Artikel im „Re-
allexikon" zum Lemma „Ethik", eine kleine Monographie von rund 150 Seiten
aus dem Jahre 1966. Hier beginnt der Text mit einem Hinweis darauf, dass die
pagane hellenistisch-römische Ethik philosophischer Prägung ... „den unablässig
erneuerten Versuch" darstellt, die Probleme menschlichen Lebens u. Zusammen-
lebens mit rationalen Mitteln zu lösen"21. Jede Ringkomposition und Teleologie
hin auf das Christliche fehlt. Allerdings findet sich sozusagen an der Scharnier-
stelle, die zwischen dem Referat paganer und jüdisch-christlicher Ethiken steht,
ein (etwas überraschender) Katalog „negative Merkmale antiker E(thik)"22: Dihle
konstatiert das Fehlen der Vorstellung vom radikal Bösen in der antiken paganen
Ethik, das Fehlen des Willensbegriffs (als selbstständige sittliche Potenz), das Feh-
len des Gewissensbegriffs, die fehlende Würdigung der Hingabe zugunsten des
Nächsten sowie das Fehlen der Demut. Nochmals wird daher auf die Demut, vor
allem auf die Demut im Mönchtum und bei Augustinus, Bezug genommen, nun
aber im schlichten Referat ohne so explizit positive Wertung wie neun Jahre zuvor.
Augustin steht nach Ansicht von Albrecht Dihle aus dem Jahre 1966 deswegen
so hoch, weil der „Osten der ethischen Theorie Augustins nichts Gleichwerti-
ges an die Seite zu stellen" hat: „Probleme der Trinitätslehre u. der Christologie
absorbierten dort die spekulativen Energien, die nötig gewesen wären, um wie
Augustinus den Bruch mit den im Osten zudem viel stärker verwurzelten psy-
chologischen Anschauungen der philosophischen Tradition zu vollziehen"23. Ganz
klassisch protestantisch erscheint mir hier jedenfalls die implizite Abwertung der
trinitätstheologischen und christologischen Reflexion als „Spekulation" (in der
Tradition von Albrecht Ritschl und Adolf von Harnack); überhaupt nicht klassisch
protestantisch ist Dihle hingegen beim Blick auf die Geschichte der christlichen
Ethik, weil hier die Konzentration auf die Entdeckung des Willens in der christ-
20 RAC III (wie Anm. 6), 742.
21 RAC VI (wie Anm. 6), 647
22 RAC VI (wie Anm. 6), 681.
23 RAC VI (wie Anm. 6), 792.
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seiner tiefen Kenntnis der Homilien des Johannes Chiysostomus profitieren und
selbst die damals chaotisch edierten Apophthegmata Patrum sind ihm offenkundig
bestens vertraut. Und doch prägt den Artikel eine Teleologie der paganen Antike
auf das Christentum hin, die sich in späteren Arbeiten von Dihle so explizit nicht
findet: Die Antike hat nach dem frühen Dihle keine echte Vorstufe der christlichen
Demutslehre entwickelt, aber ihr durch das angeblich starre Stufendenken den
Boden bereitet.20
Eine derartig offene, in der Konzentration auf Augustinus auch klassische
protestantische Fortschrittsgeschichte hat Dihle später nicht mehr so deutlich entfaltet,
aber sie prägt gleichwohl weiter seine Modellierungen der Beziehungen zwischen
„Antike" und „Christentum". Das merkt man im nächsten großen Artikel im „Re-
allexikon" zum Lemma „Ethik", eine kleine Monographie von rund 150 Seiten
aus dem Jahre 1966. Hier beginnt der Text mit einem Hinweis darauf, dass die
pagane hellenistisch-römische Ethik philosophischer Prägung ... „den unablässig
erneuerten Versuch" darstellt, die Probleme menschlichen Lebens u. Zusammen-
lebens mit rationalen Mitteln zu lösen"21. Jede Ringkomposition und Teleologie
hin auf das Christliche fehlt. Allerdings findet sich sozusagen an der Scharnier-
stelle, die zwischen dem Referat paganer und jüdisch-christlicher Ethiken steht,
ein (etwas überraschender) Katalog „negative Merkmale antiker E(thik)"22: Dihle
konstatiert das Fehlen der Vorstellung vom radikal Bösen in der antiken paganen
Ethik, das Fehlen des Willensbegriffs (als selbstständige sittliche Potenz), das Feh-
len des Gewissensbegriffs, die fehlende Würdigung der Hingabe zugunsten des
Nächsten sowie das Fehlen der Demut. Nochmals wird daher auf die Demut, vor
allem auf die Demut im Mönchtum und bei Augustinus, Bezug genommen, nun
aber im schlichten Referat ohne so explizit positive Wertung wie neun Jahre zuvor.
Augustin steht nach Ansicht von Albrecht Dihle aus dem Jahre 1966 deswegen
so hoch, weil der „Osten der ethischen Theorie Augustins nichts Gleichwerti-
ges an die Seite zu stellen" hat: „Probleme der Trinitätslehre u. der Christologie
absorbierten dort die spekulativen Energien, die nötig gewesen wären, um wie
Augustinus den Bruch mit den im Osten zudem viel stärker verwurzelten psy-
chologischen Anschauungen der philosophischen Tradition zu vollziehen"23. Ganz
klassisch protestantisch erscheint mir hier jedenfalls die implizite Abwertung der
trinitätstheologischen und christologischen Reflexion als „Spekulation" (in der
Tradition von Albrecht Ritschl und Adolf von Harnack); überhaupt nicht klassisch
protestantisch ist Dihle hingegen beim Blick auf die Geschichte der christlichen
Ethik, weil hier die Konzentration auf die Entdeckung des Willens in der christ-
20 RAC III (wie Anm. 6), 742.
21 RAC VI (wie Anm. 6), 647
22 RAC VI (wie Anm. 6), 681.
23 RAC VI (wie Anm. 6), 792.
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