III. Veranstaltungen
Aphorismen19, aber auch feinen Miniaturen20 greifbar und damit begreifbar zu
machen. Seine Rede verhallt nicht in der Leere des Elfenbeinturms, sondern ist
wirkmächtig, weil sie beispielgesättigt aus der Lebenswirklichkeit schöpft. Uner-
müdlich trägt er so das Seine zur Vermittlung von Recht und zur Stabilisierung
unserer normativen Grundordnung bei und prägt Generationen von Juristen.
Glücklich der Letztinterpret einer freiheitlichen Verfassung, der Persönlich-
keiten von Freiheitsverständnis, Freiheitsgeist und sprachlicher Kraft in seinen
Reihen weiß. Und so eiwies es sich als glückliche Fügung, dass Paul Kirchhof im
Jahr 1987 - wenig überraschend gar als Vorschlag des Gerichts selbst - zum Rich-
ter des Bundesverfassungsgerichts gewählt wurde und fortan in dessen Zweitem
Senat wirkte.
Zuständig für das Finanzverfassungs- und Haushaltsrecht, das Abgaben- und
Steuerrecht sowie das Völker- und Europarecht kommt man, listet man allein die
Senatsentscheidungen auf, in denen Paul Kirchhof als Berichterstatter wirkte, auf
die wahrlich beeindruckende Zahl von 37. Genannt seien hier nur in chronolo-
gischer Reihung die Entscheidungen zur Besteuerung von Kapitalerträgen, zum
Länderfinanzausgleich, zur Steuerbefreiung des Existenzminimums, zum Maas-
tricht-Vertrag, zur Vermögensteuer, zur Euro-Währungsunion, zum Lastenaus-
gleich von Familien und zum Kosovo-Einsatz der Bundeswehr.21
Was technisch klingen mag, sind bei Lichte betrachtet herausragende Bei-
träge insbesondere zur verfassungsrechtlichen Imprägnierung, ja Durchwirkung
des europäischen Integrationsprozesses wie auch des Steuerrechts in seiner für
die Handlungsfähigkeit des Staates, individuelle Freiheitsverwirklichung und
gesellschaftlichen Zusammenhalt herausragend bedeutsamen Funktion. Und so
blickt das Bundesverfassungsgericht auch ein knappes Vierteljahrhundert nach
Paul Kirchhofs Ausscheiden in großer Dankbarkeit auf sein Wirken im Karlsruher
Schlossbezirk wie auch auf seine bis in die Gegenwart fortwirkende enge Verbun-
denheit zur Institution.
Der Antwortcharakter der Verfassung, in: Anderheiden/Keil/Kirste/Schaefer, Verfassungsvor-
aussetzungen. Gedächtnisschrift für Winfried Brugger, 2013, S. 447 < 455>).
19 Beispielhaft: „Unsere Gesellschaft verliert sich in Teilrationalitäten und wird dadurch unver-
nünftig" (aus einem Gespräch zwischen Horst Dreier und Paul Kirchhof in der Katholischen
Akademie am 10. Dezember 2018, abgedruckt in zur debatte 3 <2019>, S. 7 < 12>).
20 So zur hoffnungsvollen und hoffnungsstiftenden Rechtswissenschaft: „Die griechische Sage
erzählt von Prometheus, der damals Menschen begegnet sei, die noch die Fähigkeit hatten,
ihre Zukunft vorauszusehen. In dieser Fähigkeit zur Voraussicht erkannten die Menschen
auch den Zeitpunkt ihres eigenen Todes. Das machte sie tiefbetroffen. [...] Als Prometheus
die Menschen in diesem Jammer sah, nahm er ihnen die Fähigkeit, die Zukunft vorauszuse-
hen, und gab ihnen die Hoffnung" (aus Paul Kirchhofs Abschiedsvorlesung „Forschen heißt
Hoffen", als Druckfassung veröffentlicht in JöR 62 <2014>, S. 459).
21 BVerfG, Pressemitteilungen Nr. 20/2023 vom 20. Februar 2023 und Nr. 126/99 vom 26. No-
vember 1999.
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Aphorismen19, aber auch feinen Miniaturen20 greifbar und damit begreifbar zu
machen. Seine Rede verhallt nicht in der Leere des Elfenbeinturms, sondern ist
wirkmächtig, weil sie beispielgesättigt aus der Lebenswirklichkeit schöpft. Uner-
müdlich trägt er so das Seine zur Vermittlung von Recht und zur Stabilisierung
unserer normativen Grundordnung bei und prägt Generationen von Juristen.
Glücklich der Letztinterpret einer freiheitlichen Verfassung, der Persönlich-
keiten von Freiheitsverständnis, Freiheitsgeist und sprachlicher Kraft in seinen
Reihen weiß. Und so eiwies es sich als glückliche Fügung, dass Paul Kirchhof im
Jahr 1987 - wenig überraschend gar als Vorschlag des Gerichts selbst - zum Rich-
ter des Bundesverfassungsgerichts gewählt wurde und fortan in dessen Zweitem
Senat wirkte.
Zuständig für das Finanzverfassungs- und Haushaltsrecht, das Abgaben- und
Steuerrecht sowie das Völker- und Europarecht kommt man, listet man allein die
Senatsentscheidungen auf, in denen Paul Kirchhof als Berichterstatter wirkte, auf
die wahrlich beeindruckende Zahl von 37. Genannt seien hier nur in chronolo-
gischer Reihung die Entscheidungen zur Besteuerung von Kapitalerträgen, zum
Länderfinanzausgleich, zur Steuerbefreiung des Existenzminimums, zum Maas-
tricht-Vertrag, zur Vermögensteuer, zur Euro-Währungsunion, zum Lastenaus-
gleich von Familien und zum Kosovo-Einsatz der Bundeswehr.21
Was technisch klingen mag, sind bei Lichte betrachtet herausragende Bei-
träge insbesondere zur verfassungsrechtlichen Imprägnierung, ja Durchwirkung
des europäischen Integrationsprozesses wie auch des Steuerrechts in seiner für
die Handlungsfähigkeit des Staates, individuelle Freiheitsverwirklichung und
gesellschaftlichen Zusammenhalt herausragend bedeutsamen Funktion. Und so
blickt das Bundesverfassungsgericht auch ein knappes Vierteljahrhundert nach
Paul Kirchhofs Ausscheiden in großer Dankbarkeit auf sein Wirken im Karlsruher
Schlossbezirk wie auch auf seine bis in die Gegenwart fortwirkende enge Verbun-
denheit zur Institution.
Der Antwortcharakter der Verfassung, in: Anderheiden/Keil/Kirste/Schaefer, Verfassungsvor-
aussetzungen. Gedächtnisschrift für Winfried Brugger, 2013, S. 447 < 455>).
19 Beispielhaft: „Unsere Gesellschaft verliert sich in Teilrationalitäten und wird dadurch unver-
nünftig" (aus einem Gespräch zwischen Horst Dreier und Paul Kirchhof in der Katholischen
Akademie am 10. Dezember 2018, abgedruckt in zur debatte 3 <2019>, S. 7 < 12>).
20 So zur hoffnungsvollen und hoffnungsstiftenden Rechtswissenschaft: „Die griechische Sage
erzählt von Prometheus, der damals Menschen begegnet sei, die noch die Fähigkeit hatten,
ihre Zukunft vorauszusehen. In dieser Fähigkeit zur Voraussicht erkannten die Menschen
auch den Zeitpunkt ihres eigenen Todes. Das machte sie tiefbetroffen. [...] Als Prometheus
die Menschen in diesem Jammer sah, nahm er ihnen die Fähigkeit, die Zukunft vorauszuse-
hen, und gab ihnen die Hoffnung" (aus Paul Kirchhofs Abschiedsvorlesung „Forschen heißt
Hoffen", als Druckfassung veröffentlicht in JöR 62 <2014>, S. 459).
21 BVerfG, Pressemitteilungen Nr. 20/2023 vom 20. Februar 2023 und Nr. 126/99 vom 26. No-
vember 1999.
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