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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

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III. Veranstaltungen

Idee der umfassenden Einheit entspricht dem Geltungsanspruch der autoritativen
Texte. Den sprachlichen Kunstwerken ist dagegen jedweder Geltungsanspruch
fremd, mit ihm die Idee der Einheit.
2. Geheimnis und Widerspruch in biblischen Texten
Das Dunkel, das Geheimnis, für die Jurisprudenz ein Mangel ihres Gegenstandes,
kann sich der biblischen Theologie geradezu als die Sache selbst eiweisen: das
„Unbegreifliche und Unsagbare" des Wesens Gottes.26 Gleichwohl hat die Kirche
im Laufe ihrer Geschichte so manchen exegetischen Weg erprobt, um das Dunkel
und die Widersprüche der Heiligen Schrift aufzulösen, vor allem die zwischen der
alttestamentlichen und neutestamentlichen Botschaft wie auch die zwischen den
historischen Texten und der modernen Welt.
Ein gern genutzter Weg zur Befreiung aus hermeneutischer Verlegenheit ist
die Allegorese. Eine Sammlung erotischer Lieder, das Hohe Lied Salomos, die als
Fremdkörper unter die spirituellen Texte des Kanons gelangt ist, wird sublimiert
zum mystischen Gleichnis, zur Sehnsucht des Einzelnen nach Gott - oder zur
Sehnsucht der Kirche nach Jesus als dem geistlich Geliebten. Das heutige Rechts-
gefühl tut sich schwer mit dem Befehl IHWHs an Abraham, ihm zum Opfer sei-
nen Sohn Isaak zu töten. Die Exegese flüchtet in eine mehr oder weniger weit
hergeholte Allegorese (Vorwegnahme des Kreuzestodes Jesu) oder aber in die
historisierende Verödung des Geschehens (Beendigung der archaischen Men-
schenopfer). Dagegen nimmt der neutestamentliche Hebräerbrief den alttesta-
mentlichen Bericht beim Wort und erklärt, warum Abraham bereit gewesen sei,
seinen Sohn zu töten: er habe auf die Zusage vertraut, dass seine Nachkommen-
schaft von Isaak ausgehen werde, und darauf, dass, auch wenn Isaak sterben soll-
te, Gott über die Macht verfüge, Tote zu eiwecken (Hebr 11, 17-20).27 Dagegen
bemüht sich Kierkegaard erst gar nicht, den göttlichen Tötungsbefehl theologisch
zu entschärfen: der absolute Befehl Gottes an den Einzelnen durchbreche die all-
gemeine Moral. Eben darin liege das ungeheure Paradox des Glaubens, „das einen
Mord in eine heilige und Gott wohlgefällige Handlung zu wandeln vermag, ein
Paradox, das dem Abraham den Isaak wiedergibt, ein Paradox, dessen sich kein
Denken bemächtigen kann, weil der Glaube gerade da beginnt, wo das Denken
aufhört".28 Dagegen hatte die mittelalterliche Christenheit weder philosophische

26 Karl Rahner, Über den Begriff des Geheimnisses in der katholischen Theologie (1959), in:
ders., Schriften zur Theologie, Bd. IV 1964, S. 51 ff (57 f).

27 Nach Klaus Berger wird jedoch hier ein Auferstehungsglaube unterstellt, den weder Abra-
ham selbst noch der Verfasser der alttestamentlichen Berichte gekannt habe (Kommentar
zum Neuen Testament, 2011, S. 883).

28 Sören Kierkegaard, Furcht und Zittern (1843), Neuausgabe 2016, S. 49., auch S. 15 ff, 50
ff Zum existenzphilosophischen Ansatz, der sich hier zeigt: Odo Marquard, Der Einzelne,
2013, S. 136 f£

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