Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

Citation link: 
https://digi.hadw-bw.de/view/jbhadw2023/0173
License: In Copyright

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Wie Götter heiraten: Tempelrituale im südindischen Hinduismus

Siva und Parvati streiten sich während eines Würfelspiels auf dem Berg
Kailäsa. Als sich Parvati über das ungepflegte Aussehen Sivas lustig macht, ver-
flucht er sie: Fortan sollte sie hässliche Augen sowie einen unförmigen, dunklen
Körper haben. Siva rät Parvati, sich nach Kanchipuram zu begeben und sich dort
unter den Schutz des Gottes Vämana zu stellen, einer Form Visnus. Nach einem
Jahr Askese erlöst Vämana die Göttin und gibt ihr den Namen Kämäksi. Damit
Kämäksi wieder mit Siva vereint würde weist Vämana sie an, ein Lihga aus Sand zu
formen und zu verehren. Siva erscheint als Sonne, die alles zu verbrennen droht,
doch Vämana erschafft den Mangobaum als Schutz für Kämäksi. Siva verbrennt
den Baum, doch nun erscheint Visnu als Mond und badet den Baum und Kä-
mäksi in seinem kühlenden Nektar. Kämäksi formt erneut ein Linga aus Sand,
das sie schützend umarmt, als Siva den Fluss Ganga als Flut auf die Erde entlässt.
Zu guter Letzt erscheint Siva selbst auf seinem Bullen Nandi reitend und heiratet
Kämäksi am Fuße des Mangobaums.
Trotz gemeinsamer Struktur und gemeinsamer Erzählmotive unterscheiden
sich die Narrative maßgeblich in ihrer Interpretation und geben dabei der jewei-
ligen sektarischen Ausrichtung der Texte Ausdruck. Hier wie dort wird Sivas Frau
von ihm verflucht und sie begegnet dem Fluch mit Askesepraktiken in Kanchipu-
ram. Sie umarmt das von ihr erschaffene Sand-Linga, um dieses vor einer von Siva
geschickten Flut zu beschützen und letztendlich nimmt Siva sie wieder zur Frau.
Visnus Rolle ist in beiden Geschichten jedoch sehr unterschiedlich dargestellt:
Die sivaitische Version stellt ihn als Ausführenden der Befehle Sivas dar, während
er in der visnuitischen Version derjenige ist, der die Handlung orchestriert und
letztendlich dafür verantwortlich ist, dass die Ordnung des Universums wieder-
hergestellt wird.
Auch im Verständnis der gegenwärtigen Priester des Ekämbaresvara- und des
KämäksT-Tempels wird die Heirat der beiden Götter unterschiedlich interpretiert.
Das ist vor allem vor dem Hintergrund zu verstehen, dass eine Heirat im mensch-
lichen wie im göttlichen Dasein eine andere Bedeutung für Männer hat als für
Frauen. Da unverheiratete, gebärfähige Frauen als gefährlich und machtvoll gelten,
wird die Zähmung wilder Göttinen meist durch ihre Verheiratung bewerkstel-
ligt. Historisch wurden und werden oft lokale nicht-brahmanische Göttinnen-
Traditionen durch „Verheiratung" der wilden Göttin der brahmanischen Tradition
einverleibt. Eine wilde, unabhängige Göttin wird so empathisch, wohltätig, glücks-
bringend und harmlos. Wird also die Verheiratung der Kämäksi betont, so liegt die
Betonung auf ihrer Unterordnung unter Siva als Ekämbaresvara. Das ist die Sicht
der sivaitischen Priester. Wird ihre Eigenständigkeit betont, und das ist das Anlie-
gen der Priester des KämäksT-Tempels, so muss die Heirat in den Hintergrund tre-
ten. Das wird durch eine kleine Episode bewerkstelligt, die wir nicht in den Texten
finden: Während der Hochzeitszeremonie - so heißt es - läuft eine schwarze Katze
durch das Hochzeitsgeschehen. Damit wird das Ritual ungültig und muss aus die-

173
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften