54 | Mirko Breitenstein
Ordnung der Körperglieder und die Bewegungen der Seele zu verfügen, heißt es im
Traktat »Vom inneren Haus« ⁸⁵ . Weil der Mensch sich selbst bewusst sei (conscius
sibi), könne niemand sich besser kennen als man selbst. ⁸⁶
In einer Konzeption wie der vorzustellenden, vermag der Mönch sein Leben
selbst mitzugestalten. Das Gewissen fungiert hier als moralischer Maßstab und zugleich
richtende Instanz, es dient nicht nur der Selbstprüfung, sondern ebenso der
Selbstbeurteilung. In diesem Zusammenhang sei noch einmal an die Bedeutung des
Wollens als erster Säule des inneren Hauses erinnert. ⁸⁷ Es ist genau dieses fundamentale
Wollen, das die Verantwortung zum Prinzip mönchischen Selbstkonzepts
werden lässt und das dabei doch zugleich auch wesentliche Grundsätze der vita
regularis in Zweifel zog. Denn: Wenn das gute Wollen am Beginn nicht nur jeder
Handlung, sondern auch jedes Denkaktes steht, ist die Beachtung auch jeder
äußerlichen, satzungsrechtlichen Norm zunächst an die Einsicht von deren legitimer
Geltung gekoppelt. Auf diese Weise wird Gehorsam, eine der höchsten monastischen
Tugenden, ⁸⁸ neu kodiert: »Was Du befiehlst«, so spricht der Mönch im
Traktat »Vom inneren Haus« seinen Gott an, »das werde ich demütig, soweit ich es
vermag, gern erfüllen.« ⁸⁹
Damit ist jedoch tendenziell das institutionelle Prinzip zönobitischen Lebens,
das an der Apostelgeschichte orientierte Ideal der communio nämlich, grundsätzlich
in Frage gestellt. Denn es könnte der Schluss gezogen werden, dass hiermit ein
Zustand erreicht wurde, der notwendig zur Auflösung gemeinschaftlicher Ordnung
führte, insofern der Mönch sich nur noch zu dem verpflichtet, was er selbst vor dem
eigenen Gewissen zu verantworten in der Lage war: »Dein Gesetz bindet dich«
(lex tua te constringit) – heißt es bündig im Traktat »Vom inneren Haus«, – aber
der Text fährt fort und transzendiert dabei die Verantwortlichkeit des Einzelnen
über sich selbst hinaus: »das Urteil, das du anderen auferlegst, trägst Du selbst.«
Eine conscientia recta sei eine solche, führt der Text weiter aus, der nicht nur die
und Schriftlichkeit im mittelalterlichen Ordenswesen, hg. von Gert Melville (Vita regularis 1), Münster
1996, S. 153 –186, hier S. 175.
85 Tuum est male acta corrigere: tuum est in ordine, et officio familiam membrorum corporis, et animae
motuum disponere: tuum, singulorum negotia secundum competentiam assignare. Tractatus de interiori
domo (wie Anm. 5), cap. 14, 23, Sp. 519.
86 Nemo enim magis scire potest quis sis, sicut tu, qui conscius es tibi. Tractatus de interiori domo (wie Anm.
5), cap. 24, Sp. 534. Vgl. oben Anm. 8.
87 Vgl. oben Anm. 17.
88 Vgl. Oboedientia. Formen und Grenzen von Macht und Unterordnung im mittelalterlichen Religiosentum,
hg. von Sébastien Barret/Gert Melville (Vita regularis. Abhandlungen 27), Berlin 2005.
89 Quidquid jusseris, pro posse meo libenter devotus implebo. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5),
cap. 37, 77, Sp. 546.
Ordnung der Körperglieder und die Bewegungen der Seele zu verfügen, heißt es im
Traktat »Vom inneren Haus« ⁸⁵ . Weil der Mensch sich selbst bewusst sei (conscius
sibi), könne niemand sich besser kennen als man selbst. ⁸⁶
In einer Konzeption wie der vorzustellenden, vermag der Mönch sein Leben
selbst mitzugestalten. Das Gewissen fungiert hier als moralischer Maßstab und zugleich
richtende Instanz, es dient nicht nur der Selbstprüfung, sondern ebenso der
Selbstbeurteilung. In diesem Zusammenhang sei noch einmal an die Bedeutung des
Wollens als erster Säule des inneren Hauses erinnert. ⁸⁷ Es ist genau dieses fundamentale
Wollen, das die Verantwortung zum Prinzip mönchischen Selbstkonzepts
werden lässt und das dabei doch zugleich auch wesentliche Grundsätze der vita
regularis in Zweifel zog. Denn: Wenn das gute Wollen am Beginn nicht nur jeder
Handlung, sondern auch jedes Denkaktes steht, ist die Beachtung auch jeder
äußerlichen, satzungsrechtlichen Norm zunächst an die Einsicht von deren legitimer
Geltung gekoppelt. Auf diese Weise wird Gehorsam, eine der höchsten monastischen
Tugenden, ⁸⁸ neu kodiert: »Was Du befiehlst«, so spricht der Mönch im
Traktat »Vom inneren Haus« seinen Gott an, »das werde ich demütig, soweit ich es
vermag, gern erfüllen.« ⁸⁹
Damit ist jedoch tendenziell das institutionelle Prinzip zönobitischen Lebens,
das an der Apostelgeschichte orientierte Ideal der communio nämlich, grundsätzlich
in Frage gestellt. Denn es könnte der Schluss gezogen werden, dass hiermit ein
Zustand erreicht wurde, der notwendig zur Auflösung gemeinschaftlicher Ordnung
führte, insofern der Mönch sich nur noch zu dem verpflichtet, was er selbst vor dem
eigenen Gewissen zu verantworten in der Lage war: »Dein Gesetz bindet dich«
(lex tua te constringit) – heißt es bündig im Traktat »Vom inneren Haus«, – aber
der Text fährt fort und transzendiert dabei die Verantwortlichkeit des Einzelnen
über sich selbst hinaus: »das Urteil, das du anderen auferlegst, trägst Du selbst.«
Eine conscientia recta sei eine solche, führt der Text weiter aus, der nicht nur die
und Schriftlichkeit im mittelalterlichen Ordenswesen, hg. von Gert Melville (Vita regularis 1), Münster
1996, S. 153 –186, hier S. 175.
85 Tuum est male acta corrigere: tuum est in ordine, et officio familiam membrorum corporis, et animae
motuum disponere: tuum, singulorum negotia secundum competentiam assignare. Tractatus de interiori
domo (wie Anm. 5), cap. 14, 23, Sp. 519.
86 Nemo enim magis scire potest quis sis, sicut tu, qui conscius es tibi. Tractatus de interiori domo (wie Anm.
5), cap. 24, Sp. 534. Vgl. oben Anm. 8.
87 Vgl. oben Anm. 17.
88 Vgl. Oboedientia. Formen und Grenzen von Macht und Unterordnung im mittelalterlichen Religiosentum,
hg. von Sébastien Barret/Gert Melville (Vita regularis. Abhandlungen 27), Berlin 2005.
89 Quidquid jusseris, pro posse meo libenter devotus implebo. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5),
cap. 37, 77, Sp. 546.