Metadaten

Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

DOI article:
Rentsch, Thomas: Transzendenz erleben: Kommentar zur Sektion Bändigung der Transzendenz – Transzendenz erleben
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0061
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
60 | Thomas Rentsch
tungen. Dennoch sehe ich, wie Herr Dalarun, dass die genuin monastische Praxis
eindeutig Potentiale birgt, die in die Moderne weisen. Zunächst ist doch zusätzlich
zu betonen, dass die mönchische Tradition seit ihrem Beginn immer wieder Reformationen
und Transformationen ihrer Ordnung unternahm und diese permanente
Veränderungspraxis führte schließlich zum Mönch Luther und zur Reformation.
Ferner: Lässt sich in der Konsequenz der Analyse von Dalarun die paradigmatische
Bedeutung der monastischen Praxis nicht viel weiter fassen als nur bezogen auf
den Kapitalismus im engeren Sinne? Kindergärten, Pflegeheime, Sanatorien, Hilfsstationen
und Hilfsorganisationen, viele andere soziale Praxisbereiche ließen sich
aufführen, die auch auf Gelingen, auf humane Gestaltungsformen zielen, die Leib
und Geist aussöhnen, ohne dass kapitalistische Effizienz alleiniges Kriterium sein
könnte. Die Moderne ist – trotz oder gerade angesichts der dramatischen Entwicklungen,
die wir gegenwärtig erleben – ungleich mehr als der bloße Kapitalismus.
Könnte man nicht sagen, dass das untergründige Weiterwirken des Mönchtums
sich auch in den Wohngemeinschaften der Studentenbewegung, wenigstens in ihren
normativ-anspruchsvollen Formen, zeigte? Oder – wem dies nicht behagt –, in den
sich gegenwärtig entwickelnden intergenerationellen Wohnprojekten, in denen Junge
und Alte, Kranke und Gesunde, Behinderte und Nichtbehinderte neue Formen
höherer Gemeinschaft anstreben, in denen Leib und Geist versöhnt werden? Also:
Max Weber ja, aber viel komplexer und ausdifferenzierter.
Herrn Breitensteins Analyse der Bedeutung des Gewissens für die Verinnerlichung
des Transzendenten im Hochmittelalter zeigt, wie die eschatologische
Transzendenzperspektive des Jüngsten Gerichts zu einer existentiellen Radikalisierung
der Reflexion des Gewissens bei den monastischen Eliten führt. Bei Petrus
Cellensis konzentriert sich dieser Reflexionsprozess deutlich auf den Kernbereich
von Selbsterkenntnis, Moralität, Individualität und Autonomie. Die Transzendenzdimension
– konkret: das existentielle Verhältnis zum Richtergott – bildet dabei
die sinnkonstitutive Basis dieses Reflexionsprozesses, näherhin die (ich formuliere
mit Augustinus) unfassbare Nähe Gottes bei gleichzeitiger unendlicher Ferne.
Die Selbsterkenntnis ist somit irreduzibel verbunden mit der radikalen Transzendenzreflexion,
und deshalb ist ihr paradigmatischer Ort die mönchische Lebensform
mit ihrem Ziel der imitatio Christi. Näherhin ist ihr Ort das Gewissen des
einzelnen Christen, sein »inneres Haus«, die »Kammer des Herzens«, so zentrale
Grundbegriffe, die Herr Breitenstein aufzeigt (Blumenberg würde sagen: absolute
Metaphern). Das Innerste der Individualität und Subjektivität wird hier angezielt.
Hier wird der Wille zum Guten oder Bösen verortet, aus diesem Haus, aus dieser
Kammer soll durch Reinigung ein »Tempel Gottes« werden, in dem Gott Wohnung
nimmt. Gut ist allein ein guter Wille – diese Grundthese Kants – ich greife vor – ist
hier klar ausgesprochen (so lautet der erste Satz der »Metaphysik der Sitten«: »Es ist
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften