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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Nyberg, Tore: Kommentar zur Sektion Bändigung der Transzendenz – Transzendenz leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0100
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Kommentar zur Sektion Bändigung der Transzendenz – Transzendenz leben | 99
von einem Missverständnis ab. Eine »Bändigung« des Transzendenten im Sinne
einer Verfügbarkeit des Individuums über das, was außerhalb der Wahrnehmung
durch die fünf Sinne erlebt und erfahren wird, kann in dem Begriff dieser »Bändigung«
nicht gegeben sein. Schon eine anfängliche Kennzeichnung des Platzes, an
dem durch die Paradoxie die Spur der Transzendenz geahnt wird, offenbart, dass
das menschliche Ich keinesfalls damit rechnen kann, in der »normlosen« Welt der
Transzendenz irgendein Besitzrecht über das Erfahrene für sich zu beanspruchen;
denn fest steht hier das non liquet – es ist uns nicht gegeben zu wissen, was mit dem
Ich und der Individualität des Menschen geschieht, wenn er sich dazu ansetzt, den
durch die Paradoxie vorgemerkten Weg weg von der wahrgenommenen Welt der
Naturgesetze zu beschreiten. Soweit man über eine »Bändigung« des Transzendenten
sprechen will, so kann sich das lediglich auf die Bereitstellung der Plätze beziehen,
an denen der Anlauf zur Transzendenz sich üblicherweise abzuspielen pflegt.
Dort kann die Richtung versuchsweise beeinflusst werden, dort lässt der Adept los,
um in der »normlosen« Welt des Andersartigen sich heimisch und vertraut bewegen
zu können.
Für das Kloster als Platz des Ansatzes zur Wanderung ist hier also in zweierlei
Hinsicht Vorsicht geboten. Ein Kloster selbst kann an sich als ein ungeheuerlicher
Selbstwiderspruch betrachtet werden, als eine Institution, die zu nichts führt, was
den normalen Gesetzen gehorcht – man denke an den immer wieder plakatierten
Mythos des Klosters als die tote Hand in wirtschaftlicher Betrachtung. Wenn aber
der Einzelne im Rahmen des klösterlichen Lebens durch die Tür geht, die zugleich
der gute Hirt ist, dann treten neue Bedingungen des Ich auf, die denen unseres, an
die Wahrnehmungen der fünf Sinnen gebundenen Erdendaseins nicht gleichen und
vielleicht nicht einmal damit vergleichbar sind. Die Frage ist, was dabei mit dem
Individuum, dem Ich, passiert. Beim Hinüberschreiten ist das Individuum sicher
eine für sich abgetrennte Größe. Nachher aber, wenn der Mensch versucht, transzendierende
Erfahrungen oder Eindrücke anderen zu vermitteln, bleiben dann –
muss man sich fragen – die so gewonnenen Einsichten nur seine eigenen, wären sie
anderen gar nicht vermittelbar? Die Antwort ist wohl, dass die Einzelerfahrungen
der Transzendenz dem Kloster als Ganzem dienen, teils durch das angesetzte Ziel
der Wanderung und teils durch den nachträglichen Diskurs unter den Zurückgekehrten.
Für die Beschreibung von Existenzformen außerhalb der Wirklichkeit der
fünf Sinne entsteht so die neue Sprache. Das Individuum tritt zurück und das Zusammenfügen
von zunächst individuellen Erfahrungen zu einem neuen Sichtbild
wird zu der Innovation, die wir dem Klosterwesen zuschreiben und die von nun an
der Gemeinschaft in gegenseitigem Austausch zugänglich wird. Die Erfahrungen
der Transzendenz bleiben nicht individueller Besitz, sondern werden Gemeingut
im Kloster und von dorther Eigentum der Menschheit. Ungeachtet aller Versuche
 
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