152 | Christina Lutter
heit als Grund für die »Inklusion«, mehr noch: für die »Einkerkerung« die Rede.
Im Vordergrund steht die explizit gebrauchte Figur der Schwäche des Geschlechts
vielmehr als Motivation des Rückzugs aus der Welt zum Zweck der umfassenden,
kollektiven und stellvertretenden Buße angesichts der Sündhaftigkeit der Welt. ²⁰
Vergleichbare Vorstellungen artikuliert der Brief des Reformkanonikers Gerhoh
von Reichersberg aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts gegenüber jenen dilectis
in Christo sororibus, bei denen es sich wahrscheinlich um die Sanktimonialen des
benediktinischen, an den Hirsauer consuetudines orientierten Reform- und »Doppelklosters«
Admont in der Salzburger Kirchenprovinz handelte. ²¹ In seinen einleitenden
Ausführungen zum Modell des vorbildlichen Lebens als Bräute Christi
verknüpft Gerhoh einige der für den Reformdiskurs maßgeblichen Bilder in aufschlussreicher
Weise. Er präsentiert die exemplarische mulier fortis der Sprüche Salomos
als Vorbild für seine Adressantinnen und setzt ihre Exegese in Bezug zu jener
der Braut des Hoheliedes. ²² Die biblischen Figuren verkörpern zentrale Tugenden
der monastischen Lebensform: Vor allem Shulamit wird von Gerhoh (in Anlehnung
an Rupert von Deutz) als exemplarische Jungfrau und Rollenmodell für die
Gefangenschaft (captivitas) der Sanktimonialen im Kloster präsentiert, welche die
monastischen Kardinaltugenden der Demut (humilitas) und des Gehorsams (oboedientia)
verkörpert. Auch Irimbert, der Seelsorger der Admonterinnen zu dieser
Zeit, spricht in seiner Darstellung des reformorientierten Lebens der Frauen von
ihrer freiwilligen custodia carceralis. ²³ Gleichzeitig aber repräsentiert die biblische
Shulamit die Integration von geistlichem und weltlichem Kampf für den Glauben,
der im Prinzip der militia Christi nicht nur im ritterlichen und klerikalen, sondern
auch im monastischen Milieu geführt werden sollte, und dies durchaus in Überschreitung
geschlechtsspezifischer Rollenmodelle. ²⁴
20 Vgl. Hedwig Röckelein in diesem Band, S. 138 –141 am Beispiel des Reformklosters Lippoldsberg.
21 Christina Lutter, Geschlecht & Wissen, Norm & Praxis, Lesen & Schreiben. Monastische Reformgemeinschaften
im 12. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung
43), Wien 2005; Dies., Mulieres fortes, Sünderinnen und Bräute Christi. Kulturelle Muster und
spirituelle Symbolik in mittelalterlichen Geschlechterkonzepten, in: Das Geschlecht des Glaubens, hg.
von Monika Mommertz/Claudia Opitz, Frankfurt am Main 2007, S. 51–70.
22 Epistola Gerhohi ad quasdam sanctimoniales, hg. von Peter Classen, in: Gerhohi Praepositi Reichersbergensis,
Opera inedita, Bd. 1: Tractatus et libelli. Accedunt Gerhohi epistolae tres, hg. von Damian und
Odulph van den Eynde/Angelini Rijmersdael (Spicilegium pontificii Athenaei Antoniani 8), Rom
1955, S. 366 –376, sowie in: Lutter, Geschlecht und Wissen (wie Anm. 21), S. 230 –234; zum Folgenden
ebd., S. 231, mit Bezug auf Prov. 7 und 31, 10 –31 sowie Cant. 3, 6; 8, 5; 4, 1. Weitere handschriftliche
Überlieferung, Regest und ältere Literatur ebd. sowie bei Peter Classen, Gerhoch von Reichersberg.
Eine Biographie. Mit einem Anhang über die Quellen, ihre handschriftliche Überlieferung und ihre Chronologie,
Wiesbaden 1960, S. 403 f., n. 160.
23 Lutter, Geschlecht und Wissen (wie Anm. 21), S. 80 –92, besonders S. 84, sowie Anhang 1, S. 222–225,
hier Abschnitt VIII, S. 223.
24 Weitere Beispiele bietet die Überlieferung etwa der Salzburger Benediktinerinnen auf dem Nonnberg, des
Hirsauer Reformklosters Petershausen in Konstanz, aber auch der Hortus deliciarum der Herrad von
heit als Grund für die »Inklusion«, mehr noch: für die »Einkerkerung« die Rede.
Im Vordergrund steht die explizit gebrauchte Figur der Schwäche des Geschlechts
vielmehr als Motivation des Rückzugs aus der Welt zum Zweck der umfassenden,
kollektiven und stellvertretenden Buße angesichts der Sündhaftigkeit der Welt. ²⁰
Vergleichbare Vorstellungen artikuliert der Brief des Reformkanonikers Gerhoh
von Reichersberg aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts gegenüber jenen dilectis
in Christo sororibus, bei denen es sich wahrscheinlich um die Sanktimonialen des
benediktinischen, an den Hirsauer consuetudines orientierten Reform- und »Doppelklosters«
Admont in der Salzburger Kirchenprovinz handelte. ²¹ In seinen einleitenden
Ausführungen zum Modell des vorbildlichen Lebens als Bräute Christi
verknüpft Gerhoh einige der für den Reformdiskurs maßgeblichen Bilder in aufschlussreicher
Weise. Er präsentiert die exemplarische mulier fortis der Sprüche Salomos
als Vorbild für seine Adressantinnen und setzt ihre Exegese in Bezug zu jener
der Braut des Hoheliedes. ²² Die biblischen Figuren verkörpern zentrale Tugenden
der monastischen Lebensform: Vor allem Shulamit wird von Gerhoh (in Anlehnung
an Rupert von Deutz) als exemplarische Jungfrau und Rollenmodell für die
Gefangenschaft (captivitas) der Sanktimonialen im Kloster präsentiert, welche die
monastischen Kardinaltugenden der Demut (humilitas) und des Gehorsams (oboedientia)
verkörpert. Auch Irimbert, der Seelsorger der Admonterinnen zu dieser
Zeit, spricht in seiner Darstellung des reformorientierten Lebens der Frauen von
ihrer freiwilligen custodia carceralis. ²³ Gleichzeitig aber repräsentiert die biblische
Shulamit die Integration von geistlichem und weltlichem Kampf für den Glauben,
der im Prinzip der militia Christi nicht nur im ritterlichen und klerikalen, sondern
auch im monastischen Milieu geführt werden sollte, und dies durchaus in Überschreitung
geschlechtsspezifischer Rollenmodelle. ²⁴
20 Vgl. Hedwig Röckelein in diesem Band, S. 138 –141 am Beispiel des Reformklosters Lippoldsberg.
21 Christina Lutter, Geschlecht & Wissen, Norm & Praxis, Lesen & Schreiben. Monastische Reformgemeinschaften
im 12. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung
43), Wien 2005; Dies., Mulieres fortes, Sünderinnen und Bräute Christi. Kulturelle Muster und
spirituelle Symbolik in mittelalterlichen Geschlechterkonzepten, in: Das Geschlecht des Glaubens, hg.
von Monika Mommertz/Claudia Opitz, Frankfurt am Main 2007, S. 51–70.
22 Epistola Gerhohi ad quasdam sanctimoniales, hg. von Peter Classen, in: Gerhohi Praepositi Reichersbergensis,
Opera inedita, Bd. 1: Tractatus et libelli. Accedunt Gerhohi epistolae tres, hg. von Damian und
Odulph van den Eynde/Angelini Rijmersdael (Spicilegium pontificii Athenaei Antoniani 8), Rom
1955, S. 366 –376, sowie in: Lutter, Geschlecht und Wissen (wie Anm. 21), S. 230 –234; zum Folgenden
ebd., S. 231, mit Bezug auf Prov. 7 und 31, 10 –31 sowie Cant. 3, 6; 8, 5; 4, 1. Weitere handschriftliche
Überlieferung, Regest und ältere Literatur ebd. sowie bei Peter Classen, Gerhoch von Reichersberg.
Eine Biographie. Mit einem Anhang über die Quellen, ihre handschriftliche Überlieferung und ihre Chronologie,
Wiesbaden 1960, S. 403 f., n. 160.
23 Lutter, Geschlecht und Wissen (wie Anm. 21), S. 80 –92, besonders S. 84, sowie Anhang 1, S. 222–225,
hier Abschnitt VIII, S. 223.
24 Weitere Beispiele bietet die Überlieferung etwa der Salzburger Benediktinerinnen auf dem Nonnberg, des
Hirsauer Reformklosters Petershausen in Konstanz, aber auch der Hortus deliciarum der Herrad von