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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Melville, Gert: Innovation aus Verantwortung: Kloster und Welt im Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0341
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340 | Gert Melville
bensraums und neuen Lebensverhaltens umrissen, die eben nur durch diese Konversion
erreicht werden konnten.
Religiöse Gemeinschaften beanspruchten, die Enthobenheit von der irdischen
Wechselhaftigkeit gewährleisten zu können, indem sie dies auch symbolisch zum
Ausdruck brachten: Wenn Frauen und Männer des Mittelalters sich im Kloster einem
Tagesrhythmus des immer Gleichen unterwarfen und in steter Wiederholung
tägliche Folgen von Gottesdiensten und Gebeten, von Schlafen und Wachen, von
Arbeit und Speisung praktizierten, so lebten sie in einer gemeinsamen Zirkelzeit,
die den weltlichen Zeitstrahl brach und ihn aufhob, sodass damit bereits die zeitlose
Ewigkeit zeichenhaft vergegenwärtigt werden konnte. Wenn in der Liturgie, im
Chorgebet, im Psalmodieren, bei Ritualen wie der benediktinischen Fußwaschung
der Armen, aber auch während der Alltäglichkeit der Arbeit durch Hören und Rezitieren
religiöser Texte dasjenige, was als ewige Wahrheit göttlicher Offenbarung
galt, permanent sensitiv gegenwärtig wurde, oder wenn das regelmäßig stattfindende
Schuldkapitel, bei dem man seine Sünden vor der Gemeinschaft bekannte, als
Abbild des Jüngsten Gerichtes verstanden wurde, dann versinnbildlichte sich die
Intention des klösterlichen Lebens, einen Einklang der irdischen Existenz mit der
himmlischen Ordnung herbeizuführen, in tatsächlich gelebten und damit institutionell
gefestigten Praktiken.
Ein solches Klosterleben bedeutete eine Lebensform des Übergangs, welcher
eine klösterliche Gemeinschaft als jeweils temporäre Durchgangsstation des Einzelnen
zwischen Erde und Himmel verankerte. Demgemäß spricht schon die Regel
Benedikts von einer »Schule des Herrn« (Prolog, Zeile 45) bzw. von einer »Werkstätte«
(Kap. 4, Zeile 78), in denen die Unvollkommenen erst zur Vollkommenheit
geformt werden sollten. Der Wert einer klösterlichen Gemeinschaft lag also nicht
in ihr selbst, vielmehr stellte diese nur – wie es hieß – die »Werkzeuge« bereit, mit
denen der Einzelne sich über das Irdische erheben und sein Leben gänzlich auf die
vollkommene Vereinigung seiner Seele mit Gott ausrichten konnte. Diese Werkzeuge
waren sowohl individuelle als auch soziale Tugenden; sie erlangte man in der
Obhut der Gemeinschaft, die hierfür die Verantwortung trug. Die Werkzeuge zu
benutzen, erforderte also, sich um der Vervollkommnung des individuellen Seelenheils
willen der Gemeinschaft unterzuordnen und wiederum für diese Mitverantwortung
zu tragen – wie es zum Beispiel Bernhard von Clairvaux unübertrefflich
veranschaulichte mit dem Bild der wohl geordneten Schlachtenreihe Davids, wo
jeder seinen Platz der Pflicht hatte im gemeinschaftlich geführten Kampf gegen den
Heereshaufen Nebukadnezars.
Damit aber war klösterliches Leben von zwei Spannungsfeldern mit folgender
dichotomischer Struktur geprägt: zum einen durch die Spannung der Konkurrenz
zwischen den institutionellen Anforderungen der klösterlichen Gemeinschaft ei-
 
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