Metadaten

Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0220
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

187

Wenn keine Bedrohung von außen mehr ist, so fehlt die Außenpolitik, es fehlt die
Notwendigkeit, die Ordnung abzustellen auf eine Verteidigungsnotwendigkeit gegen
äußere Angriffe. Der Satz vom Primat der Außenpolitik vor der Innenpolitik hat sei-
nen Sinn verloren, wie schon die Geltung des Satzes immer dann zurücktrat, wenn die
äußere Bedrohung gering war (etwa in England) und in Zeiten der großen Imperien,
wenigstens für kurze Zeiträume (in Rom, in China).
Die gesamte Produktion kann dem Dasein zugute kommen, statt der kriegerischen
Zerstörung.
Der notwendige Zusammenhang von Militärorganisation (gegen die Bedrohung
von außen oder für Eroberungsabsichten), Totalplanung, Gewalt und Unfreiheit zer-
bricht. Es bleibt aber die Möglichkeit desselben Zusammenhangs in einem Terrorstaat
als Weltimperium.
Bei allgemeinem Verfall des menschlichen Lebens aber und bei verborgener Anar-
chie wird nicht mehr, wie bisher, das Ganze durch Bedrohung von außen zum Aufraf-
fen gezwungen.
2) Eine kommende Weltordnung könnte sich nicht als fertiges Ganzes konstituie-
ren, sondern in zahlreichen Abstufungen der Freiheit. Es wird Schritte der Ordnung
geben. Das, was alle zusammenhält als gemeinsame Sache, um den dauernden Frie-
den zu sichern, kann auf wenig beschränkt sein, muß aber unter allen Umständen al-
len die Souveränität nehmen zugunsten der einen umfassenden Souveränität. Diese
Souveränität kann beschränkt sein auf jene elementaren Machtfragen - Militär, Poli-
zei, Gesetzesschöpfung - und an dieser Souveränität kann durch Wahl und Mitwir-
kung die gesamte Menschheit beteiligt sein.
Die Ordnung aber des menschlichen Lebens wäre viel reicher als die allumfassende
Gesetzlichkeit der Menschheit. Wie sie innerhalb des allgemeinen Friedens sein wird,
das muß aus den vielen geschichtlich erwachsenen Ordnungen in Umschmelzung
durch die technischen Lebensbedingungen in mannigfacher Gestalt hervorgehen.
| Begrenzte Ordnungen werden auf dem Wege dahin Ausgangspunkte sein für die
Bildung eines öffentlichen Menschheitsgeistes der Sitte.
Das alles geht nur ohne Totalplanung, - allein mit dem Plan der für alle gütigen Ge-
setze und Verträge - in freier, immer noch in wesentlichen Bereichen entscheidender
Marktwirtschaft - in freier Konkurrenz und im Wettbewerb des Geistes, in freiem, zu-
mal geistigem Verkehr.
3) Wie aber im Unterschied von einer Weltordnung Seele und Geist des Menschen
im Weltimperium sich verwandeln, ließe sich nach Analogie im römischen und im chi-
nesischen Imperium vermuten: eine nie dagewesene Nivellierung des Menschseins ist
wahrscheinlich, ein Ameisenleben in leerer Betriebsamkeit, eine Erstarrung und Ein-
trocknung des Geistes, eine Konservierung durch geistlos werdende Autorität in Rang-
ordnungen der Macht. Jedoch diese Gefahren können beim Menschen nicht absolute
sein. In der imperialen Welteinheit wird es neue Weisen der Bewegung geben, Mög-

250
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften