Karl Jaspers - Meiner
215
214 Karl Jaspers an Felix Meiner
Typoskript; Durchschlag: DLA, A: Jaspers
Basel, den 3. September 1953
Sehr geehrter Herr Dr. Meiner!
Auf Ihre Anfrage vom 9. Juli und zu dem Antrag an die UNESCO möchte ich doch
wenigstens einige, wenn auch sehr unzureichende Bemerkungen machen. Ihr Plan
scheint mir natürlich von grosser Bedeutung. Seine Verwirklichung würde für alle,
die in Deutschland an Philosophie interessiert sind, nicht nur für die Philosophiepro-
fessoren und Seminare, sehr nützlich sein. Über die konkrete Fassung des Planes sind
natürlich die Meinungen notwendig verschieden.
In den Listen finde ich manche Schriften von relativ geringer Bedeutung. Von
d’Alembert, scheint mir, genügt die »Einleitung«.436 Bayle, Bodin, Comte halte ich wie
Sie für sehr wichtig.437 Condillac und Condorcet würde ich für fragwürdig halten; sie
lohnen sich heute nicht mehr recht.438 Descartes natürlich, Diderot ebenfalls. La Met-
trie scheint mir überflüssig, ein vergangenes, langweiliges Buch.439 Leibniz vortrefflich,
auch grade die drei Schriften, die Sie nennen,440 Malebranche ebenfalls. Montesquieu
ist von so grosser Bedeutung, dass eine Auswahl schade wäre, er sollte vollständig sein.
Rousseau ist natürlich historisch wichtig. Von Voltaire würde ich weniger bringen, viel-
leicht die »Briefe über die Engländer« und den »Essay über die Sitten und den Geist der
Nationen«.441 - Von den lateinischen Schriften, die Sie vorschlagen, ist besonders wich-
tig Suarez. Thomas Morus liegt in einer vortrefflichen Übersetzung von Ritter vor, die
Sie doch mit seiner Zustimmung ohne weiteres nehmen könnten.442 Von Galilei »Über
die beiden Weltsysteme« gibt es eine alte vorzügliche Übersetzung von Emil Strauss
(Leipzig Teubner, 1891).443 Von Hobbes würde ich den »Leviathan« vorziehen. Er scheint
mir viel eindrucksvoller durch die Radikalität. Allerdings ist er beträchtlich umfangrei-
cher als »De cive«. Aber auch dort haben Sie eine alte Übersetzung, die 1794/95 in Halle
erschienen ist, die erste Hälfte davon neu gedruckt 1936 bei Rascher in Zürich.444 Locke
behauptet wegen seiner historischen Wirkung mit seinem vielfach für uns recht lang-
weiligen »Essay« noch immer seine Stellung. Ich würde heute seine politischen Schrif-
ten erheblich interessanter finden. Hume und Shaftesbury natürlich vorzüglich. - Ihre
italienischen Vorschläge finde ich auch gut. Von Bruno würde ich als eigentümlich und
sein ganzes Dasein begründend-interpretierend die »Eroici furori« fast wichtiger fin-
den als die übrigens natürlich ebenfalls wichtige Schrift »De la causa«.445 Die »Würde
des Menschen« von Pico gibt es in einer Übersetzung von Liebert.446 Vico liegt in einer
Übersetzung in Auswahl von Auerbach vor, sehr gut.447 Der Autor lebt noch und müsste
zustimmen; er war in Konstantinopel und ist jetzt, wie ich höre, in Amerika.448 Von Vico
schiene mir eine Auswahl ausreichend. Das ganze Werk zu lesen, ist für einen modernen
Menschen fast unerträglich. Sonst würde ich aber möglichst von Auswahlen abraten.
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214 Karl Jaspers an Felix Meiner
Typoskript; Durchschlag: DLA, A: Jaspers
Basel, den 3. September 1953
Sehr geehrter Herr Dr. Meiner!
Auf Ihre Anfrage vom 9. Juli und zu dem Antrag an die UNESCO möchte ich doch
wenigstens einige, wenn auch sehr unzureichende Bemerkungen machen. Ihr Plan
scheint mir natürlich von grosser Bedeutung. Seine Verwirklichung würde für alle,
die in Deutschland an Philosophie interessiert sind, nicht nur für die Philosophiepro-
fessoren und Seminare, sehr nützlich sein. Über die konkrete Fassung des Planes sind
natürlich die Meinungen notwendig verschieden.
In den Listen finde ich manche Schriften von relativ geringer Bedeutung. Von
d’Alembert, scheint mir, genügt die »Einleitung«.436 Bayle, Bodin, Comte halte ich wie
Sie für sehr wichtig.437 Condillac und Condorcet würde ich für fragwürdig halten; sie
lohnen sich heute nicht mehr recht.438 Descartes natürlich, Diderot ebenfalls. La Met-
trie scheint mir überflüssig, ein vergangenes, langweiliges Buch.439 Leibniz vortrefflich,
auch grade die drei Schriften, die Sie nennen,440 Malebranche ebenfalls. Montesquieu
ist von so grosser Bedeutung, dass eine Auswahl schade wäre, er sollte vollständig sein.
Rousseau ist natürlich historisch wichtig. Von Voltaire würde ich weniger bringen, viel-
leicht die »Briefe über die Engländer« und den »Essay über die Sitten und den Geist der
Nationen«.441 - Von den lateinischen Schriften, die Sie vorschlagen, ist besonders wich-
tig Suarez. Thomas Morus liegt in einer vortrefflichen Übersetzung von Ritter vor, die
Sie doch mit seiner Zustimmung ohne weiteres nehmen könnten.442 Von Galilei »Über
die beiden Weltsysteme« gibt es eine alte vorzügliche Übersetzung von Emil Strauss
(Leipzig Teubner, 1891).443 Von Hobbes würde ich den »Leviathan« vorziehen. Er scheint
mir viel eindrucksvoller durch die Radikalität. Allerdings ist er beträchtlich umfangrei-
cher als »De cive«. Aber auch dort haben Sie eine alte Übersetzung, die 1794/95 in Halle
erschienen ist, die erste Hälfte davon neu gedruckt 1936 bei Rascher in Zürich.444 Locke
behauptet wegen seiner historischen Wirkung mit seinem vielfach für uns recht lang-
weiligen »Essay« noch immer seine Stellung. Ich würde heute seine politischen Schrif-
ten erheblich interessanter finden. Hume und Shaftesbury natürlich vorzüglich. - Ihre
italienischen Vorschläge finde ich auch gut. Von Bruno würde ich als eigentümlich und
sein ganzes Dasein begründend-interpretierend die »Eroici furori« fast wichtiger fin-
den als die übrigens natürlich ebenfalls wichtige Schrift »De la causa«.445 Die »Würde
des Menschen« von Pico gibt es in einer Übersetzung von Liebert.446 Vico liegt in einer
Übersetzung in Auswahl von Auerbach vor, sehr gut.447 Der Autor lebt noch und müsste
zustimmen; er war in Konstantinopel und ist jetzt, wie ich höre, in Amerika.448 Von Vico
schiene mir eine Auswahl ausreichend. Das ganze Werk zu lesen, ist für einen modernen
Menschen fast unerträglich. Sonst würde ich aber möglichst von Auswahlen abraten.