34 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller
Der Degeneration des modernen Menschen zur „geschwächten Persönlich-
keit“ (KSA 1, 279), die N. schon in UB I DS durch den Typus der Gelehrten als
neuartigen „Sclavenstand“ (202) und durch Bildungsphilister wie David Fried-
rich Strauß repräsentiert sieht, hält er auch in den übrigen Unzeitgemässen
Betrachtungen sein Konzept genialer Individualität entgegen, das gemäß
UB III SE und UB IV WB durch Schopenhauer und Wagner idealtypisch verkör-
pert wird. Mit seiner Kritik am zeitgenössischen Typus des Wissenschaftlers,
der von Sekundärmotiven angetrieben, infolgedessen dem kompromisslosen
Wahrheitsanspruch entfremdet sowie durch Borniertheit und einseitiges Spezi-
alistentum weit von genialer Produktivität entfernt ist, führt N. in UB II HL die
zuvor bereits in UB I DS formulierte Gelehrtenkritik weiter. In UB III SE entfal-
tet er sie dann sogar in einer psychologisch pointierten Gelehrtensatire (KSA 1,
394-400). Sowohl in UB I DS als auch in UB II HL beschränkt sich N.s Kritik
allerdings nicht auf die sterile Gebildetheit des Gelehrten. Darüber hinaus hebt
er wiederholt auch die zeitgenössische Problematik der Epigonalität hervor
(KSA 1, 295). Auch sie erscheint als Spezialfall von N.s Auseinandersetzung mit
dem Phänomen der „geschwächten Persönlichkeit“ (KSA 1, 279, 20), die er in
UB II HL als symptomatisch für den modernen Menschen beschreibt. In
UB III SE stellt N. dem bloß imitatorischen Gestus des bloßen Nachdenkers die
unkonventionelle Kreativität echter Selbstdenker gegenüber, die - ähnlich wie
Schopenhauer - über das Potential verfügen, der Philosophie ihre Würde und
ihre produktive Gefährlichkeit zurückzugeben (KSA 1, 426-427).
Thematische Kontinuitäten, die bis zur Titelwahl reichen, verbinden N.s
Frühwerk UB I DS (wie auch UB II HL, UB III SE und UB IV WB) mit seinem
Spätwerk Götzen-Dämmerung. Denn der Anspruch auf kritische Gegenwartsdi-
agnose prolongiert sich von den Unzeitgemässen Betrachtungen, die N. mit
UB I DS eröffnete, bis zu einem Kapitel der Götzen-Dämmerung, das den symp-
tomatischen Titel „Streifzüge eines Unzeitgemässen“ trägt (KSA 6, 111-153).
Übereinstimmungen mit den Unzeitgemässen Betrachtungen zeichnen sich hier
insofern ab, als N. auch in den „Streifzügen eines Unzeitgemässen“ kulturkriti-
sche Reflexionen zu spezifischen Problemkonstellationen seiner Epoche entfal-
tet und sie zugleich in den Dienst einer entschiedenen Zukunftsorientierung
stellt. Darüber hinaus lassen sich thematische Affinitäten zwischen UB I DS
und dem GD-Kapitel „Streifzüge eines Unzeitgemässen“ in N.s kritischen Über-
legungen zum Christentum und bestimmten theologischen Aspekten feststel-
len. Denn bereits in den Anfangspartien der „Streifzüge eines Unzeitgemässen“
hinterfragt N. den christlichen Glauben und die christliche Moral (vgl. KSA 6,
111, 18 - 114, 17). Und schon der 2. Abschnitt dieser „Streifzüge“ (KSA 6, 111,
18 - 112, 14) konzentriert sich auf Ernest Renan, den Autor des Buches Vie de
Jesus (1863), das in deutscher Übersetzung unter dem Titel Das Leben Jesu
Der Degeneration des modernen Menschen zur „geschwächten Persönlich-
keit“ (KSA 1, 279), die N. schon in UB I DS durch den Typus der Gelehrten als
neuartigen „Sclavenstand“ (202) und durch Bildungsphilister wie David Fried-
rich Strauß repräsentiert sieht, hält er auch in den übrigen Unzeitgemässen
Betrachtungen sein Konzept genialer Individualität entgegen, das gemäß
UB III SE und UB IV WB durch Schopenhauer und Wagner idealtypisch verkör-
pert wird. Mit seiner Kritik am zeitgenössischen Typus des Wissenschaftlers,
der von Sekundärmotiven angetrieben, infolgedessen dem kompromisslosen
Wahrheitsanspruch entfremdet sowie durch Borniertheit und einseitiges Spezi-
alistentum weit von genialer Produktivität entfernt ist, führt N. in UB II HL die
zuvor bereits in UB I DS formulierte Gelehrtenkritik weiter. In UB III SE entfal-
tet er sie dann sogar in einer psychologisch pointierten Gelehrtensatire (KSA 1,
394-400). Sowohl in UB I DS als auch in UB II HL beschränkt sich N.s Kritik
allerdings nicht auf die sterile Gebildetheit des Gelehrten. Darüber hinaus hebt
er wiederholt auch die zeitgenössische Problematik der Epigonalität hervor
(KSA 1, 295). Auch sie erscheint als Spezialfall von N.s Auseinandersetzung mit
dem Phänomen der „geschwächten Persönlichkeit“ (KSA 1, 279, 20), die er in
UB II HL als symptomatisch für den modernen Menschen beschreibt. In
UB III SE stellt N. dem bloß imitatorischen Gestus des bloßen Nachdenkers die
unkonventionelle Kreativität echter Selbstdenker gegenüber, die - ähnlich wie
Schopenhauer - über das Potential verfügen, der Philosophie ihre Würde und
ihre produktive Gefährlichkeit zurückzugeben (KSA 1, 426-427).
Thematische Kontinuitäten, die bis zur Titelwahl reichen, verbinden N.s
Frühwerk UB I DS (wie auch UB II HL, UB III SE und UB IV WB) mit seinem
Spätwerk Götzen-Dämmerung. Denn der Anspruch auf kritische Gegenwartsdi-
agnose prolongiert sich von den Unzeitgemässen Betrachtungen, die N. mit
UB I DS eröffnete, bis zu einem Kapitel der Götzen-Dämmerung, das den symp-
tomatischen Titel „Streifzüge eines Unzeitgemässen“ trägt (KSA 6, 111-153).
Übereinstimmungen mit den Unzeitgemässen Betrachtungen zeichnen sich hier
insofern ab, als N. auch in den „Streifzügen eines Unzeitgemässen“ kulturkriti-
sche Reflexionen zu spezifischen Problemkonstellationen seiner Epoche entfal-
tet und sie zugleich in den Dienst einer entschiedenen Zukunftsorientierung
stellt. Darüber hinaus lassen sich thematische Affinitäten zwischen UB I DS
und dem GD-Kapitel „Streifzüge eines Unzeitgemässen“ in N.s kritischen Über-
legungen zum Christentum und bestimmten theologischen Aspekten feststel-
len. Denn bereits in den Anfangspartien der „Streifzüge eines Unzeitgemässen“
hinterfragt N. den christlichen Glauben und die christliche Moral (vgl. KSA 6,
111, 18 - 114, 17). Und schon der 2. Abschnitt dieser „Streifzüge“ (KSA 6, 111,
18 - 112, 14) konzentriert sich auf Ernest Renan, den Autor des Buches Vie de
Jesus (1863), das in deutscher Übersetzung unter dem Titel Das Leben Jesu