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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,2): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0427
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Stellenkommentar

Vorwort
245, 2-4 „Uebrigens ist mir Alles verhasst, was mich bloss belehrt, ohne meine
Thätigkeit zu vermehren, oder unmittelbar zu beleben“.] Das Zitat stammt aus
dem Brief Goethes an Schiller vom 19. Dezember 1798. Hier schreibt Goethe:
„Kants Anthropologie ist mir ein sehr wertes Buch und wird’s künftig noch
mehr sein, wenn ich es in geringem Dosen wiederholt genieße, denn im gan-
zen wie es da steht ist es nicht erquicklich. Von diesem Gesichtspunkte aus
sieht sich der Mensch immer im pathologischen Zustande und da man, wie der
alte Herr selbst versichert, vor dem 60sten Jahr nicht vernünftig werden kann,
so ist es ein schlechter Spaß sich die übrige Zeit seines Lebens für einen Narren
zu erklären. Doch wird, wenn man zu guter Stunde ein paar Seiten drinne liest,
die geistreiche Behandlung immer reizend sein. Übrigens ist mir alles verhaßt
was mich bloß belehrt, ohne meine Tätigkeit zu vermehren oder unmittelbar
zu beleben“ (Goethe: FA, Abt. II, Bd. 4, 621; vgl. auch Goethes Briefe und Briefe
an Goethe, Bd. 2, 362). N. studierte intensiv den Briefwechsel zwischen Schiller
und Goethe, der zu seiner persönlichen Bibliothek gehörte (NPB 530). Wenig
später bezieht sich N. im 2. Kapitel von UB II HL ausdrücklich auf Polybios,
indem er konstatiert: „Mit der Rücksicht auf den Thätigen nennt zum Beispiel
Polybius die politische Historie die rechte Vorbereitung zur Regierung eines
Staates und die vorzüglichste Lehrmeisterin“ (258, 19-21). Diese Auffassung
vertritt auch Cicero, der im Anschluss an Polybios in seiner Schrift De oratore
(II, 36) die Geschichte zur „Lehrmeisterin des Lebens“ erklärt („Historia [...]
magistra vitae“). Vgl. dazu ausführlicher NK258, 19-21.
245, 5 Ceterum censeo] Cato der Ältere (234-149 v. Chr.) soll alle seine Reden
im römischen Senat mit dem formelhaften Ausspruch geschlossen haben: „Ce-
terum censeo Carthaginem esse delendam“ („Im übrigen stelle ich fest, dass
Karthago zerstört werden muss“). Cato, der im Senat große Autorität besaß,
wollte die Römer mit seinem stereotypen Diktum dazu drängen, durch die Zer-
störung Karthagos die römische Vormachtstellung im Mittelmeer zu sichern. -
Der Appell Catos gehört zu den vielzitierten Topoi aus der römischen Geschich-
te. Oft wird er - wie hier bei N. - in verkürzter Form auf andere Bereiche über-
tragen. Plutarch überliefert das Zitat in seinem Cato maior, TI.
246, 13-15 der so mächtigen historischen Zeitrichtung [...] wie sie bekanntlich
seit zwei Menschenaltern unter den Deutschen namentlich zu bemerken ist] Seit
der Romantik, die sich intensiv der deutschen Vergangenheit zuwandte, hatte
die „Historie“ Konjunktur. Diese Tendenz verstärkte sich mit der Rückwen-

https://doi.org/10.1515/9783110286861-004
 
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