298 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben
furchtbaren Explosionsstoff, vor dem Alles in Gefahr ist“ (KSA 6, 320, 22-24).
Und an späterer Stelle von EH statuiert N. unter dem Titel „Warum ich ein
Schicksal bin“: „Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit. - “ (KSA 6, 365, 7-8).
Aufschlussreich erscheint vor diesem Hintergrund eine kritische Feststellung
in N.s Spätschrift Der Fall Wagner: Hier wendet er sich mit Nachdruck gegen
das schauspielerhafte, auf Effekt zielende Kalkül des Komponisten: „Das es-
pressivo um jeden Preis, wie es das Wagnerische Ideal, das decadence-ideal
verlangt, verträgt sich schlecht mit Begabung“ (KSA 6, 38, 33 - 39, 1). Diese
markante Formulierung wiederholt N. dann in Nietzsche contra Wagner: „Das
espressivo um jeden Preis und die Musik im Dienste, in der Sklaverei der Attitü-
de-das ist das Ende ...“ (KSA 6, 422, 25-27). Auch diese Zuspitzung ver-
dankt sich rhetorischer Stilisierung.
11.6 Selbstaussagen Nietzsches
Aufschlussreiche Selbstdeutungen formuliert N. in seiner Spätschrift Ecce
homo. Schon in der Einleitung erklärt er summarisch: „Die vier Unzeitge-
mässen sind durchaus kriegerisch. Sie beweisen, dass ich kein ,Hans der
Träumer4 war, dass es mir Vergnügen macht, den Degen zu ziehn, - vielleicht
auch, dass ich das Handgelenk gefährlich frei habe“ (KSA 6, 316, 3-6). Und
über die Historienschrift schreibt N. hier: „Die zweite Unzeitgemässe (1874)
bringt das Gefährliche, das Leben-Annagende und -Vergiftende in unsrer Art
des Wissenschafts-Betriebs an’s Licht - : das Leben krank an diesem ent-
menschten Räderwerk und Mechanismus, an der ,U n Persönlichkeit4 des Arbei-
ters, an der falschen Ökonomie der ,Theilung der Arbeit4. Der Zweck geht
verloren, die Cultur: - das Mittel, der moderne Wissenschafts-Betrieb, barba-
risirt... In dieser Abhandlung wurde der historische Sinn4, auf den dies Jahr-
hundert stolz ist, zum ersten Mal als Krankheit erkannt, als typisches Zeichen
des Verfalls. -“ (KSA 6, 316, 12-22.)
Diese pathologisierende Perspektive ist allerdings keineswegs ein Spezifi-
kum von N.s Spätphase. Bereits in einem nachgelassenen Notat aus der Entste-
hungszeit von UB II HL vermerkt N. für die zweite von ursprünglich dreizehn
geplanten Unzeitgemässen Betrachtungen das Thema: „Die historische Krank-
heit“ (NL 1872-1873, 19 [330], KSA 7, 520). Und in der „Vorrede“ zu Menschli-
ches, Allzumenschliches II reflektiert er im Rückblick auf UB I-IV auch die eige-
ne mentale Verfassung: „was ich gegen die historische Krankheit4 gesagt habe,
das sagte ich als Einer, der von ihr langsam, mühsam genesen lernte“ und
danach keineswegs „Willens war, fürderhin auf ,Historie4 zu verzichten, weil
er einstmals an ihr gelitten hatte“ (KSA 2, 370, 4-7). Nahezu wortgetreu formu-
furchtbaren Explosionsstoff, vor dem Alles in Gefahr ist“ (KSA 6, 320, 22-24).
Und an späterer Stelle von EH statuiert N. unter dem Titel „Warum ich ein
Schicksal bin“: „Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit. - “ (KSA 6, 365, 7-8).
Aufschlussreich erscheint vor diesem Hintergrund eine kritische Feststellung
in N.s Spätschrift Der Fall Wagner: Hier wendet er sich mit Nachdruck gegen
das schauspielerhafte, auf Effekt zielende Kalkül des Komponisten: „Das es-
pressivo um jeden Preis, wie es das Wagnerische Ideal, das decadence-ideal
verlangt, verträgt sich schlecht mit Begabung“ (KSA 6, 38, 33 - 39, 1). Diese
markante Formulierung wiederholt N. dann in Nietzsche contra Wagner: „Das
espressivo um jeden Preis und die Musik im Dienste, in der Sklaverei der Attitü-
de-das ist das Ende ...“ (KSA 6, 422, 25-27). Auch diese Zuspitzung ver-
dankt sich rhetorischer Stilisierung.
11.6 Selbstaussagen Nietzsches
Aufschlussreiche Selbstdeutungen formuliert N. in seiner Spätschrift Ecce
homo. Schon in der Einleitung erklärt er summarisch: „Die vier Unzeitge-
mässen sind durchaus kriegerisch. Sie beweisen, dass ich kein ,Hans der
Träumer4 war, dass es mir Vergnügen macht, den Degen zu ziehn, - vielleicht
auch, dass ich das Handgelenk gefährlich frei habe“ (KSA 6, 316, 3-6). Und
über die Historienschrift schreibt N. hier: „Die zweite Unzeitgemässe (1874)
bringt das Gefährliche, das Leben-Annagende und -Vergiftende in unsrer Art
des Wissenschafts-Betriebs an’s Licht - : das Leben krank an diesem ent-
menschten Räderwerk und Mechanismus, an der ,U n Persönlichkeit4 des Arbei-
ters, an der falschen Ökonomie der ,Theilung der Arbeit4. Der Zweck geht
verloren, die Cultur: - das Mittel, der moderne Wissenschafts-Betrieb, barba-
risirt... In dieser Abhandlung wurde der historische Sinn4, auf den dies Jahr-
hundert stolz ist, zum ersten Mal als Krankheit erkannt, als typisches Zeichen
des Verfalls. -“ (KSA 6, 316, 12-22.)
Diese pathologisierende Perspektive ist allerdings keineswegs ein Spezifi-
kum von N.s Spätphase. Bereits in einem nachgelassenen Notat aus der Entste-
hungszeit von UB II HL vermerkt N. für die zweite von ursprünglich dreizehn
geplanten Unzeitgemässen Betrachtungen das Thema: „Die historische Krank-
heit“ (NL 1872-1873, 19 [330], KSA 7, 520). Und in der „Vorrede“ zu Menschli-
ches, Allzumenschliches II reflektiert er im Rückblick auf UB I-IV auch die eige-
ne mentale Verfassung: „was ich gegen die historische Krankheit4 gesagt habe,
das sagte ich als Einer, der von ihr langsam, mühsam genesen lernte“ und
danach keineswegs „Willens war, fürderhin auf ,Historie4 zu verzichten, weil
er einstmals an ihr gelitten hatte“ (KSA 2, 370, 4-7). Nahezu wortgetreu formu-