Überblickskommentar, Kapitel 1.5: Rezeption 41
dings glaubt Hillebrand „Nietzsche’s Sündenregister“ zu stilistischen Defiziten
noch erweitern zu können (ebd., 296). „Daß aber der zornesmuthige Kläger
sich gerade gegen Strauß gewandt und in ihm die Mode gewordene Liederlich-
keit unserer Sprachverderber gegeißelt [hat], können wir ihm, wenn er auch
etwas weit geht in seinem kritischen Eifer, nur zum Ruhm anrechnen“, denn
„der Muth die Lieblinge des Volkes auf die Anklagebank zu bringen, ist von
jeher die höchste Art des Muthes gewesen“ (ebd., 296). Und Karl Hillebrand
beendet seine Buchbesprechung zu UB I DS mit dem Urteil, N. warne „ein-
dringlich, muthig und beredt“ vor dem Gestus der „Selbstzufriedenheit“ (ebd.,
302).
Aber zugleich enthält Hillebrands Rezension auch dezidierte Kritik an
UB I DS: So beanstandet er an N.s Polemik gegen den Theologen Strauß, den
er selbst als „eminenten Schriftsteller“ von „Genie, Charakter, Gelehrsamkeit“
würdigt (ebd., 293), dessen Buch ANG er jedoch für „überflüssig“ hält (ebd.,
300), eine allzu selektiv ansetzende Kritik, „weit entfernt vollständig zu sein“,
weil sie sich inhaltlich nur auf Kapitel 4 von ANG und auf die „Form“ der
Schrift konzentriere (ebd., 298, 300). Außerdem erscheint Hillebrand in N.s
UB I DS „manches falsch aufgefaßt“: So hält er es für „verfehlt, das Wesen
einer Cultur allein in den Styl zu setzen“ (ebd., 298). Darüber hinaus wirft er
N. eine mit „Tactlosigkeit“ verbundene Imitation der Stilmanier Schopenhauers
vor und kritisiert die von „Ungerechtigkeit“ und „Geschmacklosigkeit zu-
gleich“ zeugende, vielleicht sogar „Unkenntniß“ verratende Fortsetzung von
dessen spöttischen Attacken auf Hegel (ebd., 298-299). Gleichwohl goutiert er
N.s „geistreiche Schrift“ und meint, dass deren Polemik „nicht ohne Gewinn,
jedenfalls nicht ohne Genuß zu lesen“ sei (ebd., 293).
Als einseitig erweist sich angesichts des konkreten Wortlauts von Karl Hil-
lebrands ambivalentem Urteil über UB I DS allerdings N.s spätere euphorische
Behauptung in Ecce homo, Hillebrand habe in seiner Rezension eine „ausseror-
dentlich starke und tapfere Fürsprache“ zum Ausdruck gebracht (KSA 6, 318,
10-11). Bei der nachträglichen Verschleierung der kritischen Aspekte von Hille-
brands Reaktion folgte N. in EH offenbar einem Bedürfnis nach wirkungsmäch-
tiger Selbstinszenierung. So bezeichnet er Hillebrand hier emphatisch als den
„letzten humanen Deutschen“ (KSA6, 318, 12) und erklärt, dieser habe
UB I DS „als Ereigniss, Wendepunkt, erste Selbstbesinnung, allerbestes Zei-
chen dargestellt“, um dann fortzufahren: „Hillebrand war voll hoher Auszeich-
nung für die Form der Schrift, für ihren reifen Geschmack, für ihren vollkom-
menen Takt in der Unterscheidung von Person und Sache: er zeichnete sie als
die beste polemische Schrift aus, die deutsch geschrieben sei“ (KSA 6, 318,15-
22).
Diese euphemistische Selbstdarstellung N.s in Ecce homo entspricht nicht
der tatsächlichen Einschätzung Hillebrands, der N. keineswegs „vollkomme-
dings glaubt Hillebrand „Nietzsche’s Sündenregister“ zu stilistischen Defiziten
noch erweitern zu können (ebd., 296). „Daß aber der zornesmuthige Kläger
sich gerade gegen Strauß gewandt und in ihm die Mode gewordene Liederlich-
keit unserer Sprachverderber gegeißelt [hat], können wir ihm, wenn er auch
etwas weit geht in seinem kritischen Eifer, nur zum Ruhm anrechnen“, denn
„der Muth die Lieblinge des Volkes auf die Anklagebank zu bringen, ist von
jeher die höchste Art des Muthes gewesen“ (ebd., 296). Und Karl Hillebrand
beendet seine Buchbesprechung zu UB I DS mit dem Urteil, N. warne „ein-
dringlich, muthig und beredt“ vor dem Gestus der „Selbstzufriedenheit“ (ebd.,
302).
Aber zugleich enthält Hillebrands Rezension auch dezidierte Kritik an
UB I DS: So beanstandet er an N.s Polemik gegen den Theologen Strauß, den
er selbst als „eminenten Schriftsteller“ von „Genie, Charakter, Gelehrsamkeit“
würdigt (ebd., 293), dessen Buch ANG er jedoch für „überflüssig“ hält (ebd.,
300), eine allzu selektiv ansetzende Kritik, „weit entfernt vollständig zu sein“,
weil sie sich inhaltlich nur auf Kapitel 4 von ANG und auf die „Form“ der
Schrift konzentriere (ebd., 298, 300). Außerdem erscheint Hillebrand in N.s
UB I DS „manches falsch aufgefaßt“: So hält er es für „verfehlt, das Wesen
einer Cultur allein in den Styl zu setzen“ (ebd., 298). Darüber hinaus wirft er
N. eine mit „Tactlosigkeit“ verbundene Imitation der Stilmanier Schopenhauers
vor und kritisiert die von „Ungerechtigkeit“ und „Geschmacklosigkeit zu-
gleich“ zeugende, vielleicht sogar „Unkenntniß“ verratende Fortsetzung von
dessen spöttischen Attacken auf Hegel (ebd., 298-299). Gleichwohl goutiert er
N.s „geistreiche Schrift“ und meint, dass deren Polemik „nicht ohne Gewinn,
jedenfalls nicht ohne Genuß zu lesen“ sei (ebd., 293).
Als einseitig erweist sich angesichts des konkreten Wortlauts von Karl Hil-
lebrands ambivalentem Urteil über UB I DS allerdings N.s spätere euphorische
Behauptung in Ecce homo, Hillebrand habe in seiner Rezension eine „ausseror-
dentlich starke und tapfere Fürsprache“ zum Ausdruck gebracht (KSA 6, 318,
10-11). Bei der nachträglichen Verschleierung der kritischen Aspekte von Hille-
brands Reaktion folgte N. in EH offenbar einem Bedürfnis nach wirkungsmäch-
tiger Selbstinszenierung. So bezeichnet er Hillebrand hier emphatisch als den
„letzten humanen Deutschen“ (KSA6, 318, 12) und erklärt, dieser habe
UB I DS „als Ereigniss, Wendepunkt, erste Selbstbesinnung, allerbestes Zei-
chen dargestellt“, um dann fortzufahren: „Hillebrand war voll hoher Auszeich-
nung für die Form der Schrift, für ihren reifen Geschmack, für ihren vollkom-
menen Takt in der Unterscheidung von Person und Sache: er zeichnete sie als
die beste polemische Schrift aus, die deutsch geschrieben sei“ (KSA 6, 318,15-
22).
Diese euphemistische Selbstdarstellung N.s in Ecce homo entspricht nicht
der tatsächlichen Einschätzung Hillebrands, der N. keineswegs „vollkomme-