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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0070
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44 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

Hegels Rechtsphilosophie vgl. NK170, 3-4.) - Die eigentliche Intention Hoff-
manns, die ihn zugleich in einen grundlegenden Dissens mit N.s Prämissen
bringt, erhellt dann aus seiner Kritik am metaphysischen Pessimismus von
Schopenhauers Philosophie (vgl. Reich 2013, 341-361), die er für „die unsin-
nigste“ hält, „die je von einem Genie im Mißbrauch grober Kräfte aufgestellt
worden ist“ (ebd., 346). Unter Berufung auf den eigenen Lehrer Franz von Baa-
der, den er als Non plus ultra „tiefsinniger Wahrheitserkenntniß“ in Stellung
bringt (ebd., 347), begibt sich Hoffmann in eine nur strategische Teil-Allianz
mit N. gegen Strauß, die letztlich von genau konträren Motiven bestimmt ist:
Da Hoffmann Schopenhauers Philosophie als „verderbliche Erscheinung“ ver-
urteilt, weil sie „auf den Nihilismus hinausläuft“ (ebd., 348), mithin auf „die
innere Nichtsnutzigkeit“ eines „Atheismus“ (ebd., 355), konstatiert er: „Es ist
wahr, das Straußische Buch ist jämmerlich armselig, aber viel mehr durch das,
was es mit Schopenhauer gemein hat, als durch die Mängel, welche der Verf.
an ihm rügen konnte“ (ebd., 356).
Die fundamentale Divergenz der weltanschaulichen Überzeugungen wird
evident, wenn Franz Hoffmann den Atheismus, den er selbst so entschieden
verurteilt, aus dem Blickwinkel N.s betrachtet: „der Atheismus des Strauß war
schon ganz recht, nur hätte er ihn bis zur Höhe der Schopenhauer’schen Frech-
heiten treiben sollen. Dann wäre Strauß ganz der Mann nach dem Herzen des
Verfassers gewesen“ (ebd., 349). Und in der Monatszeitschrift Psychische Studi-
en (Bd. 1, Nr. 12, 1874, 563-569) konstatiert Hoffmann in seinem Text Unzeit-
gemässe Betrachtungen von Friedrich Nietzsche mit analoger Grundtendenz,
UB I DS laufe „unter Austheilung von Kolbenschlägen“ vor allem darauf hi-
naus, „dass ihm Strauss den Atheismus zu sehr in einer Mischung von Hegel,
Feuerbach und Büchner, und nicht, wie er nach Nietzsche gesollt hätte, echt
Schopenhauerisch betrieben hat“ (abgedruckt in Hauke Reich 2013, 522-527,
vgl. ebd., 524).
Außer den im Vorangegangenen exemplarisch dargestellten Reaktionen
auf N.s UB I DS gab es noch etliche andere Stellungnahmen von Zeitgenossen.
So teilte Friedrich Theodor Vischer seinem Sohn am 4. Oktober 1873 brieflich
mit: „Ein Professor Nietzsche in Basel hat ein freches Buch gegen mich und
Strauß geschrieben; ich werde nicht antworten“ (zitiert nach Hauke Reich
2013, 302). Vischer, der den eigenen Stellenwert als Zielscheibe von N.s Pole-
mik in UB I DS hier erheblich überschätzt, meint mit seiner Aussage offenbar
eine Passage (172, 8 - 173, 26), auf die Emil Kuh in seiner Polemik gegen N.
rekurriert: Laut Kuh nimmt N. „einen Ausspruch Friedrich Theodor Vischer’s
über Hölderlin auf“ und „unterschiebt ihm eine falsche Bedeutung“ (zitiert
nach Hauke Reich 2013, 431). N. attackiert den Hegelianer Vischer im Zusam-
menhang mit einer Hölderlin-Rede und reiht ihn dabei in die „Periode der cyni-
 
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