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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,2): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0074
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48 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

richtig begriffen, der noch so nahe steht, er würde die kleinen Herren seiner
Gegenwart vielleicht nicht so überwichtig genommen haben“ (ebd., 40).
Und dann schließt Gerhart Hauptmann seine enthusiastische Einschät-
zung von UB I DS an: „Unzeitgemäße Betrachtungen4 I. Eine in hohem Grade
produktive Polemik. Ein scharfes, durchdring [end] es Auge richtet sich auf ein
Buch; es wird in seinem Wert oder Unwert erkannt. Es wird als Seelenspiegel
seines Verfassers angewendet, und das Bild im Spiegel zeichnet eine begabte
Hand in markanten Linien heraus; es erregt wenig Sympathien, aber man sieht
keine Möglichkeit, seine Echtheit anzuzweifeln. Noch weiter muß sich das
schlechte Buch [sc. ANG] als guter Spiegel gebrauchen lassen: es wird den
Lesern und Lobern seiner sechs Auflagen vorgehalten und wirft erstaunliche,
sprechende Auskünfte zurück - ähnlich dem ,Spieglein an der Wand4 - über
die Geisteskultur dieser Leser und Lober, die äußerst ärmlich erscheint. / Soll
eine Polemik sich rechtfertigen, so muß sie das Unumgängliche merken lassen.
Die Angriffe eines Rauflustigen sind einfacher Unfug. Man muß den Angreifer
als Ritter empfinden können, der eine Mission hat; sein Sieg aber muß wirken
wie eine Befreiung. Das alles ist hier Ereignis. / Der Angriff Nietzsches auf
Strauß ist elegant und mörderisch, er führt als Waffe das Florett. Das Opfer
soll tödlich getroffen werden, und bis dahin wird es geschont. Man soll es von
allen Seiten betrachten können, wie in der Arena den Stier, hier aber nicht zur
Belustigung, sondern zu tiefer Belehrung“ (Hauptmann 1987, 40-41). Anschlie-
ßend entwirft Hauptmann ein Gedicht mit dem Titel „Auf einen Pamphletis-
ten“, dessen „Seele“ er mit einem „Wespennest“ vergleicht (ebd., 41).
Von der Grundtendenz der zeitgenössischen Rezensionen, die weitgehend
skeptisch bis polemisch zu UB I DS Stellung nehmen, unterscheidet sich Ger-
hart Hauptmanns Einschätzung fundamental, insbesondere dann, wenn er am
6. August 1897 im Tagebuch uneingeschränkt sogar den polemischen Gestus
von UB I DS goutiert: So behauptet er, dass „eine erbitterte Lustigkeit des An-
greifers Nietzsche durchaus hinreißt und dieser alle Sympathien durch Adel,
Redlichkeit, Schönheit und Kraft im Kampf sowie Makellosigkeit der Waffen
an sich bindet“ (ebd., 41). [Das ließe sich mit guten Gründen durchaus bestrei-
ten.] - Vermutlich ist Hauptmanns Einschätzung nicht unbeeinflusst geblieben
von dem schon bald nach N.s Zusammenbruch im Jahre 1889 beginnenden
Ruhm, der sich laut Overbeck auch in einer „huflattichartig wuchernde[n]44
Nietzsche-Literatur manifestierte (zitiert nach Hauke Reich 2013,13). Am 7. Au-
gust 1897 korreliert Hauptmann UB I DS sogar mit Also sprach Zarathustra, in-
dem er N. „eine vollkommen religiöse Natur“ attestiert und behauptet: „Sein
Angriff, gerade auf Straußens ,Neuen Glauben4, bedeutet im Grunde: Raum für
Zarathustra!“ (Hauptmann 1987, 42).
Theodor Lessing entfaltet in seinem Buch Nietzsche 1925 positive Perspek-
tiven auf UB I DS: Er sieht in N.s vier Unzeitgemässen Betrachtungen insgesamt
 
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