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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,2): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0085
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Überblickskommentar, Kapitel 1.7: Strauß’ Buch Der alte und der neue Glaube 59

diesem Zweck interpretiert er die historische Reihenfolge der drei Komponisten
Haydn, Mozart und Beethoven in Analogie zu Prozessen in der Vegetation: „Wir
haben nämlich drei Stufen einer normalen Entwicklung vor uns, drei Meister,
davon jeder folgende sich auf des Vorgängers Schultern stellt, es ist gleichsam
Knospe, Blüthe und Frucht, die wir auseinander hervorgehen sehen“ (ANG 361,
26-30). N. kommentiert diese bildhafte Veranschaulichung so: „Und nun wird
es auch immer lustiger! Plötzlich sehen wir ,drei Meister, davon jeder
folgende sich auf des Vorgängers Schultern stellt4 (S. 361), ein
rechtes Kunstreiterstückchen, das uns Haydn, Mozart und Beethoven zum Bes-
ten geben [...]“ (240, 8-12). Vermutlich knüpft Strauß in dieser ANG-Passage,
durch die sich N. zur ironischen Replik provoziert sieht, an Aufhebungs- und
Überbietungskonstellationen in der Entwicklung des Bewusstseins gemäß He-
gels Phänomenologie des Geistes an. Biologische Metaphorik findet sich häufig
in geschichtsphilosophischen Kontexten und bestimmt beispielsweise auch
Herders triadisches Modell der Kulturentwicklung. Konkrete Divergenzen erge-
ben sich überdies zwischen Strauß’ Perspektive auf Beethoven und dem Bild
des Komponisten, das Wagner in seiner „herrliche [n] Festschrift über Beetho-
ven“ entwirft - so N.s Eloge im „Vorwort an Richard Wagner“ in der Geburt der
Tragödie (KSA 1, 23, 19).
David Friedrich Strauß hat ANG von der vierten Auflage an um einen auf
das Jahresende 1872 datierten Anhang ergänzt. Sein Titel lautet: Ein Nachwort
als Vorwort zu den neuen Auflagen meiner Schrift: Der alte und der neue Glaube
(1873). Vier Jahre später wurde dieser Text auch im Rahmen einer Strauß-Werk-
ausgabe publiziert: vgl. Strauß’ Gesammelte Schriften (Bd. 6, 1877, 255-278). -
David Friedrich Strauß reagiert mit diesem Nachwort als Vorwort, das er nach
eigenen Angaben bereits „am letzten Tage des Jahres 1872“ abgeschlossen hat-
te (vgl. ebd., 278), auf die umfangreiche kritische Resonanz, die durch die vo-
rangegangenen drei Auflagen seines Buches ANG ausgelöst worden war. Das
breite ideologische Spektrum der kritischen Stellungnahmen zu Strauß’ Werk
erhellt schon aus einer Aussage des Autors selbst, der in seinem Buch-Anhang
Ein Nachwort als Vorwort zu den neuen Auflagen meiner Schrift: Der alte und
der neue Glaube von einem „Kreuzfeuer der Orthodoxen und der Fortschritts-
theologen, der Conservativen und der Socialdemokraten“ spricht (ANG, Nach-
wort als Vorwort, 8). - Im vorliegenden Kommentar wird dieser Anhang (wie
in der von N. zugrunde gelegten Edition) mit einer neuen Paginierung versehen
und jeweils in Verbindung mit dem Kürzel ANG, Nachwort als Vorwort zitiert.
 
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