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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,2): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0096
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70 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

12.
Im 12. Kapitel (227-242) präsentiert N. eine kritische Stilanalyse auf der Basis
umfangreicher Zitate aus ANG, die er selbst im Sinne Schopenhauers als „Bele-
ge für den Lumpen-Jargon der Jetztzeit“ versteht (228). Eine solche „Sammlung
von Stilproben“ (227) hatte N. Richard Wagner bereits am 18. April 1873 brief-
lich angekündigt (KSB 4, Nr. 304, S. 145). N.s Florilegium aus Strauß’ ANG zielt
zwar auf Evidenz durch präzise Nachweise und komische Effekte, erscheint
über weite Strecken aber eher als pedantische Zusammenstellung von Quisqui-
lien. Giorgio Colli bezeichnet N.s „langweilige Liste der stilistischen Fehler von
Strauss“ als Ausdruck einer „schulmeisterlichen Pedanterie“ (KSA 1, 906). (Zu
weiteren Kritikpunkten Collis, die ANG und UB I DS betreffen, vgl. KSA 1, 905-
906 und die Schlusspassage von Kapitel 1.5 dieses Überblickskommentars.)
Den Stilisten Strauß sieht N. zwischen der Skylla des Hegelianismus und
der Charybdis des Journalismus (228). In seiner Stilkritik bemüht er sich da-
rum, Strauß sprachliche Ungeschicklichkeiten, Grammatikfehler, fehlerhafte
Verkürzungen, Tautologien, problematische Bilder und unpräzise Zitate nach-
zuweisen (229-239). An einer Stelle diffamiert er das „Straussendeutsch“ sogar
als „Wickelkinderdeutsch“ (236). N. entwertet den Philister Strauß auch im
Hinblick auf die zu erwartende Wirkungsgeschichte, indem er ihm für seine
„Berühmtheit“ polemisch nur „ein Paar Stunden der Gegenwart“ zugesteht
und ihm für die Zukunft die „Nacht“ der „Vergessenheit“ prognostiziert (228).
Nach seiner Auffassung steht nicht nur Strauß als paradigmatischem Fall, son-
dern der „Philister-Kultur in Deutschland“ insgesamt der „Untergang“ bevor
(241). Einen thematischen Bezug zum Titel des ganzen Zyklus der Unzeitge-
mässen Betrachtungen stellt N. im letzten Satz von UB I DS her, indem er seine
eigene Polemik zwar als das „Bekenntniss eines Einzelnen“ versteht (241-242),
sie zugleich aber auch als Spezialfall einer „Wahrheit“ deutet, die momentan
„noch als unzeitgemäss“ gilt (242).
 
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