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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0137
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Stellenkommentar UB I DS 2, KSA 1, S. 172-173 111

172,13 er war der Werther Griechenlands] Indem Vischer den Dichter Hölderlin
auf diese Weise zu charakterisieren versucht, spielt er auf den Protagonisten
in Goethes berühmtem Briefroman Die Leiden des jungen Werthers (1774) an.
Dass das antike Griechenland einen zentralen ideellen Horizont für Hölderlins
Werke bildet, lässt sein lyrischer Briefroman Hyperion oder Der Eremit in Grie-
chenland ebenso erkennen wie sein Dramenfragment Der Tod des Empedokles.
In dieser Hinsicht ergeben sich deutliche Affinitäten zu den Interessen des jun-
gen N., der sich bereits in seinem Erstlingswerk Die Geburt der Tragödie auf
die Genese dieser literarischen Gattung in der griechischen Antike konzentriert
und deren Wiedergeburt von den Musikdramen Wagners erhofft.
172,17 Aeschylus] In der Antike war Aischylos (525-456 v. Chr.) vor Sophokles
und Euripides der älteste der drei berühmten griechischen Tragödiendichter.
Von den zahlreichen Stücken des Aischylos sind heute nur noch wenige Werke
erhalten. Zu ihnen zählen Die Perser, Die Sieben gegen Theben, Die Schutzfle-
henden, Die Orestie und Prometheus.
172, 32-34 „Es ist nicht immer Willenskraft, sondern Schwachheit, was
uns über die von den tragischen Seelen so tief gefühlte Begierde zum Schönen
hinüberbringt“] Vgl. NK 172, 1-4.
173, 23-24 die Periode der cynischen Philisterbekenntnisse] Mit dem Adjektiv
,cynisch‘ spielt N. auf die Kyniker an, eine Gruppierung von Philosophen in
der griechischen Antike, deren philosophisches Ethos auf eine durch Bedürf-
nislosigkeit zu erreichende Autarkie zielt. Im 5. und 4. Jh. v. Chr. wirkten Antis-
thenes und Diogenes von Sinope, die als die ersten und bis heute bekanntesten
kynischen Philosophen gelten. Da von den Schriften der Kyniker nur wenige
Fragmente erhalten geblieben sind, entstammen die Kenntnisse über ihre Bio-
graphien und ihre philosophischen Lehren den Berichten anderer antiker Au-
toren, etwa dem Werk Leben und Meinungen berühmter Philosophen von Dioge-
nes Laertius, von dem sich mehrere Ausgaben in N.s Bibliothek befanden
(NPB 191-195). Vgl. auch NK 204, 26-27. - Neben der Unabhängigkeit von mate-
riellen Bedürfnissen demonstrierten die Kyniker eine unkonventionelle Natür-
lichkeit, die bis zur Schamlosigkeit reichen konnte. Der Begriff,Kyniker4 basiert
auf dem altgriechischen Adjektiv KWiKoq (hündisch), das von kvcüv (der Hund)
abgeleitet ist. Hypothetisch wurde dieser Begriff unter anderem damit erklärt,
dass der Hund bei den Griechen als das schamloseste Tier galt (vgl. A. Müller
1976, Sp. 1468). - Im Kontext der oben erwähnten „Philisterbekenntnisse“ ist
der Begriff ,cynisch‘ negativ konnotiert und schließt auch bereits Aspekte des
Begriffs ,zynisch4 in modernem Sinne mit ein. In späteren Schriften verwendet
N. den Begriff ,Cynismus4 allerdings in einem positiveren Sinne, etwa wenn er
in Jenseits von Gut und Böse erklärt, „Cynismus“ sei „die einzige Form, in wel-
 
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