Metadaten

Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0140
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
114 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

175, 2-3 so reden allein jene Menschen, welche Strauss als seine „Wir“ uns vor-
stellt] Vgl. dazu ein nachgelassenes Notat unter der Überschrift „Gegen den
Schriftsteller David Strauss“: „Wenn die ,Wir‘ von Strauß wirklich so zahlreich“
sind, dann „trifft ein, was Lichtenberg prophezeit, daß unsre Zeiten noch ein-
mal die dunklen heißen“ (NL 1873, TI [5], KSA 7, 589). - Mehrere Exzerpte zu
Lichtenberg finden sich in N.s nachgelassenen Notaten aus der Entstehungs-
zeit von UB I DS (vgl. NL 1873, TJ [12], KSA 7, 590 sowie NL 1873, TJ [21], KSA 7,
592-593 und NL 1873, TI [25], KSA 7, 594).
175, 5-7 mögen sie nun „Gelehrte oder Künstler, Beamte oder Militärs, Gewerbe-
treibende oder Gutsbesitzer sein und zu Tausenden und nicht als die Schlechtes-
ten im Lande leben.“] Aus derselben Textpassage von David Friedrich Strauß’
Schrift (ANG 294) zitiert N. einige Seiten später nochmals: vgl. 178, 13 - 179, 2
und den Kommentar dazu.
175,19-21 Hätte er geschwiegen, so wäre er, für diese wenigstens, der Philosoph
geblieben, während er es jetzt für Keinen ist.] Anspielung auf die sentenzhaft-
prägnante Formel „si tacuisses, philosophus mansisses“ („wenn du geschwie-
gen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben“). Diese Aussage geht auf Boe-
thius’ Consolatio Philosophiae II 7 zurück. Hier heißt es aus der Perspektive der
allegorischen Figur der Philosophie: „Nam cum quidam adortus esset homi-
nem contumeliis, qui non ad verae virtutis usum, sed ad superbam gloriam
falsum sibi philosophi nomen induerat adiecissetque iam se sciturum, an ille
philosophus esset, si quidem ollatas iniurias leniter patienterque tolerasset,
ille patientiam paulisper assumpsit acceptaque contumelia velut insultans:
Jam tandem, inquit, intellegis me esse philosophum?’ Tum ille nimium mord-
aciter: Jntellexeram, inquit, si tacuisses.“ („Irgend jemand hatte einen Men-
schen, der nicht zur Übung wahrer Tugend, sondern aus Ruhmredigkeit fälsch-
lich den Namen Philosoph angenommen hatte, mit Schmähungen angefahren
und hinzugefügt, er werde bald wissen, ob jener ein Philosoph sei, wenn er
nämlich die Beleidigungen sanft und geduldig ertrüge. Der nahm ein Weilchen
Geduld an und sagte dann, als ob er sich über die erlittene Beleidigung hin-
wegsetze: ,Begreifst du nun, daß ich ein Philosoph bin?‘ Darauf sagte der andre
bissig: ,Ich hätte es begriffen, wenn du geschwiegen hättest/“: Übersetzung
von Ernst Gegenschatz und Olof Gigon). - Inwiefern N. das Boethius-Zitat im
vorliegenden Kontext polemisch gegen David Friedrich Strauß richtet, zeigt ein
nachgelassenes Notat über ihn aus der Entstehungszeit von UB I DS: „Er ist
kein Philosoph. [...] Er ist ein Magister. Er zeigt den magisterhaften Typus
der Bildung unsrer Bourgeoisie“ (NL 1873, TI [2], KSA 7, 588). Und eine Diver-
genz von Sein und Schein bei Strauß behauptet N., wenn er anschließend
konstatiert: „der Gelehrte ist zu Grunde gegangen, dadurch daß er Philosoph
scheinen wollte“ (ebd.).
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften