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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0142
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116 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

(NL 1872-1873, 19 [201], KSA 7, 481). Und in einem mit dem Titel „Masken
des bürgerlichen Lustspiels Kotzebue‘s“ überschriebenen Nach-
lass-Notat rechnet N. „Riehl“ neben „Gervinus“ und anderen Zeitgenossen zu
den „alten Jungfern“, den „sentimentalischen“ (NL 1872-1873, 19 [273],
KSA 7, 504).
175, 34 - 176, 5 „Aber was muss ich sehen! Ist es Schatten! ist’s Wirklichkeit?
Wie wird mein Pudel lang und breit!“ Denn jetzt wälzt er sich bereits wie ein
Nilpferd auf der „Weltstrasse der Zukunft“ hin, und aus dem Knurren und Bellen
ist ein stolzer Religionsstifter-Ton geworden.] Indem N. hier (sowie in 175, 24
und 176,12) die „Weltstrasse der Zukunft“ thematisiert, übernimmt er eine For-
mulierung aus Strauß’ ANG (368, 3); vgl. NK 176, 11-14 mit einem umfangrei-
chen Zitat aus ANG. - Zugleich zitiert N. aus der Szene ,Studierzimmer I‘ in
Goethes Faust. Der Tragödie erster Teil, lässt dabei allerdings einen Vers weg.
Goethes Protagonist Faust erklärt: „Aber was muß ich sehen! / Kann das natür-
lich geschehen? / Ist es Schatten? ist’s Wirklichkeit? / Wie wird mein Pudel
lang und breit!“ (V. 1247-1250). Ohne das Zitat zu kennzeichnen, integriert N.
in den vorliegenden Kontext auch den markanten Vergleich aus der Fortset-
zung von Fausts Äußerung: „Schon sieht er wie ein Nilpferd aus“ (V. 1254). Und
das von N. erwähnte „Knurren“ und „Bellen“ bezieht sich in Goethes Faust I
ebenfalls auf den Hund, den Faust in der vorangegangenen Szene vom Oster-
spaziergang in sein Studierzimmer mitgenommen hat. Der in den Pudel ver-
wandelte Mephisto goutiert es nicht, dass Faust nach seinem intensiven Natur-
erlebnis die „Liebe Gottes“ zu empfinden glaubt (V. 1185). Als der Pudel
deshalb zu knurren anfängt, befiehlt ihm Faust: „Knurre nicht, Pudel! Zu den
heiligen Tönen, / Die jetzt meine ganze Seel’ umfassen, / Will der tierische
Laut nicht passen“ (V. 1202-1204). Wenig später beginnt Faust die Bibel zu
übersetzen. Konsequenterweise protestiert der Hund (also Mephisto) auch da-
gegen, und zwar mit größerer Lautstärke, indem er bellt. Daraufhin weist Faust
ihn zurecht: „Soll ich mit dir das Zimmer teilen, / Pudel, so laß das Heulen, /
So laß das Bellen!“ (V. 1238-1240). - N. instrumentalisiert die Bezugnahmen
auf Goethes Faust I im vorliegenden Kontext, um sich polemisch gegen David
Friedrich Strauß zu wenden. Indem er ihn mit Fausts Pudel vergleicht, schreibt
er dem „Religionsstifter-Ton“ zugleich einen mephistophelischen Charakter zu.
176, 5 Herr Magister] Mit dieser Anrede ironisiert N. den von David Friedrich
Strauß kultivierten Habitus des Lehrmeisters und spielt dabei auch auf den
selbstkritischen Monolog des Protagonisten in Goethes Faust. Der Tragödie ers-
ter Teil an. In der berühmten Szene ,Nacht4 präsentiert sich Faust als ein Ge-
lehrter, der unter der Lebensferne einer sterilen, überständigen Gelehrtenkul-
tur leidet und trotz seiner ausgedehnten Studien keinen Zugang zu essentieller
 
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