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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0150
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124 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

gen zitiert N. hier Aussagen aus Strauß’ ANG 296, 12-20. - Die Formulierung
„wessen das Herz voll ist, davon geht der Mund über“ ist ein implizites Bibelzi-
tat (vgl. Matthäus 12, 34).
181,11-12 es ist die homerische Chimära, von vorn Strauss, von hinten Gervinus,
in der Mitte Chimära - in summa Lessing.] Der lateinische Ausdruck ,in summa1
bedeutet: insgesamt. Die ,Chimära4 ist ein Sagentier aus der antiken Mytholo-
gie. Im 6. Gesang von Homers Ilias (V. 181) wird die Chimaira folgendermaßen
beschrieben: „Vorn ein Löw, und hinten ein Drach, und Geiß in der Mitte“
(Übersetzung von Johann Heinrich Voß, 1793). - N. verwendet diese Phantasie-
Anatomie aus der griechischen Mythologie, um David Friedrich Strauß’ Präten-
tion, zu einem Lessing des 19. Jahrhunderts zu avancieren, spöttisch bloßzu-
stellen.
Der Historiker und Literaturwissenschaftler Georg Gottfried Gervinus
(1805-1871) wirkte seit 1835 als Professor für Geschichte und Literatur an der
Universität Heidelberg. Im Jahre 1836 wechselte er an die Universität Göttin-
gen, wurde dort allerdings 1837 als einer der, Göttinger Sieben4 seines akademi-
schen Lehramts enthoben. Im Jahre 1848 war Gervinus als nationalliberaler
Politiker Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. In seinem Hauptwerk,
der fünfbändigen Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen,
die 1835-1842 erschien, brachte Gervinus literaturgeschichtliche Entwicklun-
gen erstmals in einen Zusammenhang mit dem historischen Prozess generell. -
In seinem zweiten Vortrag zum Thema Ueber die Zukunft unserer Bildungsan-
stalten grenzt sich N. polemisch von Gervinus’ literaturhistorischer Betrach-
tungsweise ab, indem er behauptet, „daß unsere Gelehrten von jener Bildungs-
höhe abgefallen und heruntergesunken sind, die das deutsche Wesen unter
den Bemühungen Goethe’s, Schiller’s, Lessing’s und Winckelmann’s erreicht
hatte: ein Abfall, der sich eben in der gröblichen Art von Mißverständnissen
zeigt, denen jene Männer unter uns, bei den Literaturhistorikern ebensowohl -
ob sie nun Gervinus oder Julian Schmidt heißen - als in jeder Geselligkeit [...]
ausgesetzt sind“ (KSA 1, 685, 16-23). Und in einem Nachlass-Notat kritisiert
N. pauschal das „Aufheben, das die Deutschen von dem in allen Kunstfragen
wahrhaft albernen Gervinus gemacht haben“ (NL1872-73, 19 [279], KSA 7,
506). - Zur Kritik an Gervinus, mit der N. an Wagners Polemik gegen Gervinus
anschloss, vgl. auch NK zu UBI DS (182, 5) und zu GT 21 (KSA 1, 135, 18).
181, 16-18 Einiges Neue lernen wir zwar aus ihnen, zum Beispiel, dass man
durch Gervinus wisse, wie und warum Goethe kein dramatisches Talent gewesen
sei] Vgl. dazu Strauß’ ANG 306,15-18: „Euripides war ein entschieden dramati-
sches Talent, wie Schiller es war; von Goethe hat uns, nachdem Andere an der
Sache herumgetastet, zuerst Gervinus bestimmt gezeigt, daß er ein solches
 
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