Metadaten

Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0171
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Stellenkommentar UB I DS 6, KSA 1, S. 191 145

UBI DS spitzt N. seine Kritik zu, indem er gegen „die verruchtesten aller
Deutsch-Verderber, die Hegelianer“ (228, 7), polemisiert. Zugleich betont er,
dass Strauß „einmal in seiner Jugend Hegelisch gestottert hat“ (228, 11). Mit
seinen Vorbehalten gegen die Anhänger der Hegelschen Philosophie schließt
N. an Schopenhauer an, der Hegel und die „Hegelianer“ wiederholt heftig atta-
ckiert, auch in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie (vgl. PP I,
Hü 172-174, 179-180, 183-188, 190, 194), die für N.s UB IIISE als wichtigste
Quelle fungierte. - Ähnlich wie der Hegel-Gegner Schopenhauer weist im vor-
liegenden Kontext auch N. auf die Schwierigkeit einer adäquaten Kant-Rezep-
tion hin. Bereits Schopenhauer erklärt in seiner Schrift Ueber den Willen in der
Natur: „Denn die Kenntniß der kritischen Philosophie ist ausgestorben, trotz
Dem, daß sie die letzte wirkliche Philosophie ist, welche aufgetreten, und da-
bei eine Lehre, welche in allem Philosophiren, ja, im menschlichen Wissen
und Denken überhaupt eine Revolution und eine Weltepoche macht. Da dem-
nach durch sie alle früheren Systeme umgestoßen sind; so geht jetzt, nachdem
die Kenntniß von ihr ausgestorben ist, das Philosophiren meistens nicht mehr
auf Grund der Lehren irgend eines der bevorzugten Geister vor sich, sondern
ist ein reines Naturalisiren, in den Tag hinein, auf Grund der Alltagsbildung
und des Katechismus. Vielleicht nun aber werden, von mir aufgeschreckt, die
Professoren wieder die Kantischen Werke vornehmen. Jedoch sagt Lichten-
berg: ,Man kann Kantische Philosophie in gewissen Jahren, glaube ich, eben
so wenig lernen, als das Seiltanzen/“ (Schriften zur Naturphilosophie und zur
Ethik, Hü XXV-XXVI.)
Auch in der Vorrede zur 2. Auflage der Welt als Wille und Vorstellung I
wendet sich Schopenhauer energisch gegen den „heillosen Irrthum“ derer, die
der Ansicht sind, man „könne Kants Philosophie aus den Darstellungen Ande-
rer davon kennen lernen“; ihnen hält er seine Überzeugung entgegen: „Die
Kantische Lehre also wird man vergeblich irgend wo anders suchen, als in
Kants eigenen Werken [...]. In Folge seiner Originalität gilt von ihm im höch-
sten Grade was eigentlich von allen ächten Philosophen gilt: nur aus ihren eige-
nen Schriften lernt man sie kennen; nicht aus den Berichten Anderer“ (WWVI,
Hü XXV). Später weist Schopenhauer in seiner Schrift Ueber die Universitäts-
Philosophie erneut mit Nachdruck darauf hin, dass „die eigentliche Bekannt-
schaft mit den Philosophen“ die Lektüre ihrer Werke verlange, die sich durch phi-
losophiegeschichtliche Kompendien keineswegs ersetzen lasse (PP I, Hü 208).
Diese im Rahmen der Parerga und Paralipomena I publizierte Schrift (PP I,
Hü 149-210) hatte durch heftige Polemik gegen die akademische Philosophie
maßgeblichen Einfluss auf UB III SE (vgl. dazu Kapitel III.4 im Überblickskom-
mentar zu UB III SE).
Ähnlich wie zuvor bereits Schopenhauer führt im vorliegenden Kontext
von UB I DS auch N. die Unfähigkeit, Kants Philosophie zu begreifen, auf Prä-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften