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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0184
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158 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

Indem N. die bloßen Schattenbilder metaphorisch mit Strauß’ Ethik korre-
liert, transformiert er das dualistische Grundkonzept von Platons Idealismus
für seine Polemik gegen Strauß. Mit genuinem Heroismus in der Lebenspraxis
kontrastiert N. die bloße Attitüde eines ,,Held[en] der Worte“, so dass aus die-
ser Perspektive der rein verbale Heroismus von Strauß’ Ethik als bloßes „Schat-
tenbild der Thaten“ erscheint, mithin als defizitär im Vergleich mit tatsächlich
heldenhaftem Handeln. In dieser Vorstellung behält N. nur den Dualismus von
Platons Denkmodell mit der Relation von Urbild und Abbild, von Licht und
Schatten bei, kodiert es zugleich aber im Sinne seiner polemischen Intention
um.
194, 20-24 Er verkündet mit bewunderungswürdiger Offenheit, dass er kein
Christ mehr ist, will aber keine Zufriedenheit irgend welcher Art stören; ihm
scheint es widersprechend, einen Verein zu stiften, um einen Verein zu stürzen -
was gar nicht so widersprechend ist.] Vgl. dazu ANG, § 2, „Einleitung“, S. 7:
„Nun kann man aber in der Außenwelt nichts wirken, wenn man nicht zusam-
mensteht, sich verständigt und dieser Verständigung gemäß mit vereinigten
Kräften handelt. Wir sollten mithin, so scheint es, den alt- und neukirchlichen
Vereinen gegenüber einen unkirchlichen, einen rein humanitären und rationel-
len, gründen. Aber es geschieht nicht, und wo es einige versuchen, machen
sie sich lächerlich. Das dürfte uns nicht abschrecken, wir müßten es nur besser
machen. So scheint es Manchen, aber uns scheint es nicht so. Wir erkennen
vielmehr einen Widerspruch darin, einen Verein zu gründen zur Abschaffung
eines Vereins. Wenn wir thatsächlich erweisen wollen, daß wir keine Kirche
mehr brauchen, dürfen wir nicht ein Ding stiften, das selbst wieder eine Art
von Kirche wäre.“
194, 24-26 Mit einem gewissen rauhen Wohlbehagen hüllt er sich in das zottige
Gewand unserer Affengenealogen und preist Darwin als einen der grössten Wohl-
thäter der Menschheit] Mit ironisch grundierter Metaphorik präsentiert N.
Strauß hier in einer atavistischen Verkleidung. Dem Hinweis auf das Unau-
thentisch-Künstliche dieser Maskerade lässt N. wenig später den Vorwurf der
Halbherzigkeit folgen, wenn er konstatiert, Strauß ziehe aus seiner Präferenz
für Darwins Evolutionslehre nicht die Konsequenz „einer ächten und ernst
durchgeführten Darwinistischen Ethik“ (195, 4). Vgl. dazu NK195, 4. Für UBI DS
ist die Theorie Darwins auch insofern relevant, als sie von David Friedrich
Strauß in eine Relation zu Schopenhauers Philosophie gebracht wird (vgl.
ANG 175-177, 183-187, 194-197). An späterer Stelle von UB I DS schreibt N. mit
einer analogen Formulierung über Strauß: „So scheu er ist, wenn er vom Glau-
ben redet, so rund und voll wird sein Mund, wenn der grösste Wohlthäter der
allerneuesten Menschheit, Darwin, citirt wird: dann verlangt er nicht nur Glau-
 
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