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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0203
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Stellenkommentar UB I DS 8, KSA 1, S. 200-201 177

(FA, Bd. 14, S. 534). - Gemäß dem 11. Gesang in Homers Odyssee sind Kimme-
rier die Anwohner des Okeanos in der Nähe des Eingangs zum Hades. In dieser
entlegenen Region herrscht die ,kimmerische Finsternis4, weil dem Sonnengott
die Macht über diesen äußersten Rand der Erde fehlt.

8.
201, 4 Wie schreibt er seine Bücher?] Diese Fragestellung bildet das übergrei-
fende Thema für den Schlussteil von UB I DS. Allerdings retardiert N. die kon-
krete Beantwortung der Frage nach den stilistischen Qualitäten des Autors Da-
vid Friedrich Strauß bis zum 9. Kapitel. Mit dem Gesamtkomplex der letzten
vier Kapitel versucht N. die These ad absurdum zu führen, Strauß sei „ein klas-
sischer Schriftsteller“ (208, 33). Aber erst im 12. Kapitel bietet N. dann auch
eine detaillierte Stilkritik: Hier versucht er mit zahlreichen exemplarischen Zi-
taten zu demonstrieren, dass Strauß schlechtes Deutsch schreibt.
Dabei orientiert sich N. am polemischen Gestus des Textes „Ueber Schrift-
stellerei und Stil“, dem 23. Kapitel von Schopenhauers Parerga und Paralipo-
mena II. Hier erklärt Schopenhauer: „Der S t i 1 ist die Physiognomie des Geis-
tes“ (PP II, Kap. 23, § 282, Hü 547). „Simplicität“ erhebt er zum „Merkmal, nicht
allein der Wahrheit, sondern auch des Genies“ (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 550).
Infolgedessen kritisiert er den „hochtrabenden, aufgedunsenen, preziösen, hy-
perbolischen und aerobatischen“ Stil (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 554): „Die Geistes-
armuth kleidet sich gern“ in „affektirte Gravität, Vornehmigkeit und Preziosität“
(ebd.). Wie N. lässt bereits Schopenhauer seinen allgemeineren Darlegungen
eine umfangreiche Stilkritik anhand exemplarischer Fallbeispiele „beliebter
Sprachschnitzer“ folgen (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 558). Vgl. dazu Schopenhau-
ers Text „Ueber Schriftstellerei und Stil“ (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 557-577).
Hier erklärt Schopenhauer: „Stilfehler soll man in fremden Schriften entde-
cken, um sie in den eigenen zu vermeiden“ (PP II, Kap. 23, § 282, Hü 547).
201, 7-8 das Straussische Hand-Orakel des deutschen Philisters] N. spielt hier
auf die Aphorismen-Sammlung Oräculo manual y arte de prudencia (Handora-
kel und Kunst der Weltklugheit) des spanischen Jesuiten Baltasar Graciän y Mo-
rales (1601-1658) an, der zu den bedeutenden Schriftstellern der klassischen
spanischen Literatur zählt und aufgrund seiner aufklärerischen Ansichten Pub-
likationsverbot erhielt. Arthur Schopenhauer übersetzte das Oräculo manual y
arte de prudencia ins Deutsche. Indem N. den Titelbegriff „Hand-Orakel“ hier
auf David Friedrich Strauß’ ANG bezieht, suspendiert er den ursprünglichen
Bezug.
 
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