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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0210
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184 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

konstatiert Schopenhauer, dass „die Leute, die von der Philosophie leben
wollen, höchst selten eben Die seyn werden, welche eigentlich f ü r sie leben,
bisweilen aber sogar Die seyn können, welche versteckterweise g e g e n sie ma-
chiniren“ (PP I, Hü 192) und sogar „Feinde der Philosophie“ werden (PP I,
Hü 196).
Wie später auch N. (421, 32 - 422, 16) plädiert daher bereits Schopenhauer
in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie entschieden für die Abschaf-
fung (PP I, Hü 167, 192-193, 207-208) der allzu „lukrativen Philosophie“ (PP I,
Hü 159, 201), um ihre Pervertierung zum staatlich subventionierten universitä-
ren „Brodgewerbe“ (PP I, Hü 164) künftig zu verhindern (PP I, Hü 167). Dabei
beruft sich Schopenhauer auch auf Platon: Er habe gezeigt, dass „die Philoso-
phie sich nicht zum Brodgewerbe eigne“; zudem habe er die Weisheitsliebe
echter Philosophen mit den bloß auf das „Geldverdienen“ zielenden Interessen
der Sophisten kontrastiert, deren Verhalten mit Prostitution zu vergleichen sei
(PP I, Hü 164). Im Anschluss an Schiller und Schopenhauer kritisiert N. „das
Motiv des Broderwerbs“ (398, 2) in UBIII SE im Rahmen seiner Gelehrtensatire.
204, 20 Wie sympathisch muss dieser Geist zu jenem Geiste reden] Ironische
Anspielung auf eine Aussage in Goethes Faust I. In der ersten Szene „Nacht“
fragt sich der Protagonist in einem langen Monolog: „Wie spricht ein Geist zum
andern Geist“ (V. 425). Der unter seiner sterilen Gelehrtenexistenz leidende
Faust schlägt dann ein Buch mit dem Zeichen des Makrokosmos auf, durch
das er sich zunächst inspiriert fühlt, bis er dem Erdgeist die Priorität einräumt,
vor dessen Übermacht er aber schließlich kapitulieren muss.
204, 26-27 Mit welcher Laterne würde man hier nach Menschen suchen müs-
sen] Anspielung auf eine durch Diogenes Laertius tradierte Anekdote: Nach ihr
soll Diogenes von Sinope, der Begründer der kynischen Philosophie, bei Tage
eine Laterne angezündet haben und mit ihr umhergegangen sein, und zwar
mit der Begründung: „Ich suche einen Menschen“ (vgl. Diogenes Laertius’ Le-
ben und Meinungen berühmter Philosophen, 2008, Buch VI, 41). N. selbst ver-
fügte über mehrere Ausgaben dieses Werkes von Diogenes Laertius (vgl.
NPB 191-195). - Im Text 125 der Fröhlichen Wissenschaft spielt N. auf dieselbe
Anekdote an, um sie dann allerdings in signifikanter Weise zu modifizieren:
„Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage
eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: ,Ich suche
Gott! Ich suche Gott!“4 (KSA 3, 480, 22-25). Zu den Konzepten der Kyniker vgl.
NK 173, 23-24. - Über Diogenes Laertius publizierte N. bereits 1868/69 seine
umfangreiche philologische Abhandlung De Laertii Diogenis fontibus I/II, die
in der Zeitschrift „Rheinisches Museum“ zweiteilig erschien: ebd., 1868, 632-
653 (vgl. KGW II1, 75-104) und 1869, 181-228 (vgl. KGW II1, 104-167).
 
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