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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0216
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190 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

9.
209, 7-9 so bliebe ihm immer noch als letztes refugium seines Ruhmes der An-
spruch, ein „klassischer Prosaschreiber“ zu sein] Wie bereits in 186, 15 referiert
N. hier erneut die Selbstdarstellung von David Friedrich Strauß, der sich expli-
zit die „Ehre“ zuschreibt, „als eine Art von classischem Prosaschreiber [zu]
gelten“, und sich unter Berufung auf diese Reputation über seine journalisti-
schen Kritiker empört, die ihn gleich „einem verkommenen Subject“ behan-
deln. Vgl. dazu das ausführliche Strauß-Zitat (aus ANG, Nachwort als Vorwort,
10-11) in NK 186, 13-15.
209,16 ein Ganzes hinzusetzen, totum ponere] Die vorangestellte deutsche For-
mulierung fungiert hier als Übersetzung des lateinischen Ausdrucks.
210, 2-3 das Verhältniss der vier Hauptfragen] Die Struktur von David Fried-
rich Strauß’ ANG orientiert sich an vier Leitfragen, die der Autor den Hauptab-
schnitten seiner Schrift jeweils als Titel vorangestellt hat. Sie lauten: I. Sind
wir noch Christen? - II. Haben wir noch Religion? - III. Wie begreifen wir die
Welt? - IV. Wie ordnen wir unser Leben? - Mit den ersten beiden Fragen zielt
Strauß gemäß seiner kritischen Arbeit als Theologe auf eine Suspendierung
des traditionellen christlichen Glaubens; infolgedessen beantwortet er sie ne-
gativ. In den Kapiteln, die sich auf die dritte und vierte Frage konzentrieren,
versucht Strauß dann den „neuen Glauben“ positiv darzustellen. - Im An-
schluss an diese vier Zentralfragen lässt Strauß in ANG noch zwei ergänzende
Kapitel mit den Titeln folgen: „Erste Zugabe. Von unsern großen Dichtern“ und
„Zweite Zugabe. Von unsern großen Musikern“.
210, 27-28 Oder sollte neuer Glaube nur eine ironische Accommodation an den
Sprachgebrauch sein?] Generell bedeutet,Akkommodation4: Angleichung, An-
passung. In der Theologie bezeichnet der Terminus in spezifischem Sinne eine
Anpassung der Glaubenslehre an die jeweiligen Rahmenbedingungen der
Welt. Diesem Prozess liegt schon im 17. Jahrhundert die theologische Auffas-
sung zugrunde, dass es eine Differenz gebe zwischen der überzeitlichen Gültig-
keit der christlichen Lehre und ihrer jeweils zeitgeschichtlich bedingten Ein-
kleidung, der keine Verbindlichkeit zukomme. Die Akkommodation zielt auf
eine pädagogische Anpassung der Glaubenslehre, die zwar nach dem Vorbild
Jesu und seiner Apostel auf das Fassungsvermögen der Hörer Rücksicht neh-
men und an deren geistigen Horizont anknüpfen soll, aber - trotz der Einsicht
in die historische Wandelbarkeit der Lehr gestalt - zugleich auch die Autorität
Jesu und der Apostel aufrecht erhält. Vgl. dazu die Darlegungen in: Die Religion
in Geschichte und Gegenwart (3. Auflage, Bd. 1, 209-210).
 
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