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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0232
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206 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

der zügellosen Ressentiments-Gefühle ist, erfunden als Standarte für den
Kampf. [...] 4. Mein Kampf gegen die Romantik, in der christliche Ideale und
Ideale Rousseaus zusammenkommen“ (NL 1887, 10 [2], KSA 12, 453-454). We-
nig später konstatiert N.: „Statt des ,Naturmenschen4 Rousseau’s hat das
19. Jahrhundert ein wahreres Bild vom ,Menschen4 entdeckt“ (NL 1887, 10
[5], KSA 12, 456). - Zu Rousseau und N.s Einstellung zu ihm vgl. auch NK 369,
12-15 sowie NK 369, 18-25 und NK 369, 28-30.
218,10-12 Von der Göttin Wahrheit behaupten ja die Wenigen, die sie gesehen
haben, dass sie nackt gewesen sei] Mit dieser Feststellung schließt N. an Aussa-
gen an, die sich im Kapitel 23 „lieber Schriftstellerei und Stil“ von Schopen-
hauers Parerga und Paralipomena II finden. Hier schreibt Schopenhauer: „Die
Wahrheit ist nackt am schönsten, und der Eindruck, den sie macht, um so
tiefer, als ihr Ausdruck einfacher war; theils, weil sie dann das ganze, durch
keinen Nebengedanken zerstreute Gemüth des Hörers ungehindert einnimmt;
theils, weil er fühlt, daß er hier nicht durch rhetorische Künste bestochen, oder
getäuscht ist, sondern die ganze Wirkung von der Sache selbst ausgeht“ (PP II,
Kap. 23, § 283, Hü 556). Die Vorliebe für den „Bombast“ und das Wohlgefallen
„am hochtrabenden, aufgedunsenen, preziösen, hyperbolischen und aerobati-
schen Stile“ (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 554) betrachtet Schopenhauer sogar als
Indiz trivialen Denkens. Seines Erachtens erkennt man „am preziösen Stil den
Alltagskopf“ (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 555).
Dass Schopenhauer mit seiner Kritik am prätentiösen, künstlich verklau-
sulierten oder verschroben-pedantischen Stil sowohl Schriftsteller als auch
Philosophen im Visier hat, wird deutlich, wenn er bestimmte Philosophen
exemplarisch nennt: „Da sieht man die Schriftsteller bald dithyrambisch, wie
besoffen, und bald, ja schon auf der nächsten Seite, hochtrabend, ernst, gründ-
lich-gelehrt, bis zur schwerfälligsten, kleinkauendesten Weitschweifigkeit,
gleich der des weiland Christian Wolf, wiewohl im modernen Gewände. Am
längsten aber hält die Maske der Unverständlichkeit vor, jedoch nur in
Deutschland, als wo sie, von Fichte eingeführt, von Schelling vervoll-
kommnet, endlich in Hegel ihren höchsten Klimax erreicht hat: stets mit
glücklichstem Erfolge. Und doch ist nichts leichter, als so zu schreiben, daß
kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedan-
ken so auszudrücken, daß Jeder sie verstehn muß. Das Unverständliche
ist dem Unverständigen verwandt“ (PP II, Kap. 23, §283, Hü 549-550). -
Ein impliziter Bezug zu David Friedrich Strauß ist daraus zu erschließen, dass
N. in UBI DS an früherer Stelle erklärt, Strauß sei durch die „Hegelei und
Schleiermacherei“ infiziert (191, 21).
218, 21-23 Strauss erzählt uns selbst, „dass man ihm die ungesuchte Ehre er-
wiesen habe, ihn als eine Art von klassischem Prosaschreiber anzusehen“] Diese
 
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