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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0288
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262 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

auch in Verbindung mit einem sacrificium intellectus, das N. (analog zu Wag-
ner) schon in seiner Geburt der Tragödie empfiehlt. Zum Spannungsfeld zwi-
schen Hartmann und N. vgl. auch Jean-Claude Wolfs Buch Eduard von Hart-
mann. Zeitgenosse und Gegenspieler Nietzsches (2006). - Die zeitgenössische
Pessimismus-Debatte lässt sich exemplarisch über das Buch Der Pessimismus
und seine Gegner (1873) von Agnes Taubert, der Ehefrau Eduard von Hart-
manns, rekonstruieren, das vom Verlag folgendermaßen angepriesen wurde:
„Vorliegende Schrift benutzt die von R. Haym, G. Knauer, J. B. Meyer, L. Weis
u. a. m. gegen Hartmanns Pessimismus gerichteten Angriffe als Ausgangspunkt
zu einer erneuten und gründlichen Untersuchung über die Berechtigung und
Tragweite der pessimistischen Weltanschauung. Es ergeben sich hierbei insbe-
sondere ganz neue und überraschende Resultate über den Einfluss des Pessi-
mismus auf das praktische Leben, auf die Sittlichkeit und auf die socialen und
politischen Fragen der Gegenwart, so dass die pessimistische Idee sich als eine
moderne Culturidee ersten Ranges erweist“ (Verlagsanhang der 6. Auflage von
E. von Hartmanns Werk, 1874). - Auf die Bedeutung der Schopenhauer-Rezep-
tion in Eduard von Hartmanns Philosophie des Unbewußten wies bereits Cosima
von Bülow hin, die spätere Ehefrau Richard Wagners. Nachdem N. ihr dieses
Werk geliehen hatte, teilte sie ihm am 27. Januar 1870 brieflich ihr kritisches
Urteil mit: „Der Herr Hartmann scheint mir auch zu den Neuesten zu gehö-
ren; [...] nur scheint es mir dass das was er von Schopenhauer stiehlt (er führt
ihn meist nicht an) gut, und was er von sich hat schlecht ist. Auch scheint es
mir ein wenig naiv zu behaupten, Sch<openhauer> wisse nichts von unbewuss-
ten Vorstellungen, während doch das ganze System auf solche [n] (wie Zeit und
Raum u. s. w.) basirt“ (KGB II2, Nr. 66, S. 124).
Eine differenziertere Charakterisierung von Eduard von Hartmanns Philoso-
phie des Unbewußten bietet Ernst Troeltsch 1922 in seinem Werk Der Historismus
und seine Probleme. Hier geht er im I. Buch Das logische Problem der Geschichts-
philosophie folgendermaßen auf die Divergenzen zwischen Schopenhauer, Hart-
mann und N. ein (Troeltsch 1922,480-481):
„Wenn v. Hartmann im Unterschiede von Schopenhauer den Geschichtsprozeß trotzdem
als eine positiv wertvolle Entwicklung beschreibt und ihn von den ersten Regungen des
Bewußtseins bis zur erlösenden Selbstauflösung desselben in einem sinnvollen Zweckzu-
sammenhang aufsteigen läßt, so kommt das davon, daß er in unwillkürlicher Nachbildung
Hegels die pessimistische Enderlösung wie ein positives Gut und die ganze Kulturentwick-
lung als dieser höchsten Gotteserkenntnis zustrebend beschreibt. Ja, in der wirklichen
Durchführung seiner Kulturphilosophie behandelt er den Geist, der ja immer neue Wider-
sprüche löst, ähnlich wie ihn die Dialektik behandelt hatte. Aber freilich enthüllt sich das
sofort als Schein oder Verwirrung. Was bei Hegel Lebensfülle in logischer Bewegung ist,
das ist bei Hartmann Illusion, in logisch-naturwissenschaftlicher Selbstwiderlegung be-
griffen. Demgemäß ist auf diese Weise für ein tieferes Geschichtsdenken auch wenig he-
 
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