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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,2): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0293
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Überblickskommentar, Kapitel 11.3: Konzeption 267

kunftsperspektive entwirft. Die Schlusspartie stellt Wagner sogar ganz unter
die programmatische Leitvorstellung der ,Zukunft4, die er in seiner Abhand-
lung Das Kunstwerk der Zukunft zum Hauptthema macht. Wenn Wagner in sei-
nen theoretischen Schriften die ,Zukunft4 der ,Kunst4 verkündet, dann meint er
damit allerdings primär seine eigenen Konzepte und den Erfolg seines ,Gesamt-
kunstwerks4. N. lässt bereits seine Tragödienschrift in die Vorstellung einer
„Wiedergeburt44 der Tragödie durch Wagner einmünden und verbindet damit
emphatisch die „Hoffnung“, auf diese Weise eine generelle Kulturreform im
Zeichen einer ,dionysischen4 Zukunft initiieren zu können.
Auf dieses Hoffnungs- und Zukunftsmotiv hin organisiert N. auch das Fina-
le seiner Historienschrift: Er betont „den begeisternden Trost der Hoffnung“
(332, 5) und die „Gesellschaft der Hoffenden“ (332, 16), um schließlich mit vi-
sionärem Propheten-Gestus die Prognose zu geben: „sie sind, an jenem End-
punkte ihrer Heilung, wieder Menschen geworden und haben aufgehört,
menschenähnliche Aggregate zu sein - das ist etwas! Das sind noch Hoffnun-
gen! Lacht euch nicht dabei das Herz, ihr Hoffenden?“ (332, 30-33). Demgemäß
formuliert N. bereits im markanten Schlusssatz des Vorworts seine Absicht,
„unzeitgemäss [...] zu Gunsten einer kommenden Zeit - zu wirken“ (247, 9-11).
Zum Stellenwert von „Hoffnung“ und „Zukunft“ für den frühen N. und für sein
soziales Umfeld vgl. konkreter NK 332, 5-33.
Dass „Hoffnung“ und „Zukunft“ im Sinne Wagners die Zielvorstellung für
das unzeitgemäße Denken N.s bilden und seinen intellektuellen Horizont im
Frühwerk maßgeblich bestimmen, zeigt später das ebenfalls als Finale into-
nierte Schlusskapitel von UBIV WB: Obwohl N. dort betont, Wagner sei „kein
Utopist“, erklärt er zugleich auch, dieser könne „des Glaubens an die Zukunft
nicht entrathen“ (KSA 1, 506, 7-8). Mit Erlösungspathos spricht er von den
„kommenden Geschlechtern“ (KSA 1, 506, 16) einer säkular vollendeten
Menschheit, von einer „zukünftigen Welt“ (KSA 1, 507, 5). Und als deren Reprä-
sentanten verherrlicht er den Helden Siegfried im dritten Teil von Wagners
Opernzyklus Der Ring des Nibelungen als den „freien Menschen“ (KSA 1, 506,
32). Schon im 10. Kapitel von UB IV WB bereitet N. dieses letzte Kapitel vor,
indem er in einer programmatischen Zwischenüberschrift die „Menschen
der Zukunft“ apostrophiert (KSA 1, 505, 6).
In den nachgelassenen Notaten zur Historienschrift hat N. eine Gesamt-
disposition entworfen, die ebenfalls auf das Finale der „Zukunft“ zuläuft
(NL 1873, 29 [90], KSA 7, 672):
„ I Historisch - Unhistorisch.
II Monumental - Antiquarisch.
III Wirkungen der Hypertrophie.
 
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