Überblickskommentar, Kapitel 11.4: Struktur 273
und 3 kommt zentrale Bedeutung zu, da sie zwischen der monumentalischen,
antiquarischen und kritischen Art der Historie differenzieren (258). In den Ka-
piteln 4 bis 8 diagnostiziert N. die Gefahr lebensfeindlicher „Uebersättigung
einer Zeit in Historie“ (279). Eine kritische Auseinandersetzung mit Eduard von
Hartmanns Philosophie des Unbewußten. Versuch einer Weltanschauung (1869)
folgt im 9. Abschnitt, mit dem sich N. zugleich in eine aktuelle Kontroverse
einschaltet. Und im 10. Kapitel schließlich zeigt er die Funktion, die das Unhis-
torische und das Überhistorische als Therapeutika für einen kranken Zeitgeist
haben können.
Vorwort
Mit einem kurzen Vorwort (245-247) eröffnet N. seine „Betrachtung über den
Werth und den Unwerth der Historie“ (245). In entschiedener Abkehr von der
gerade in Deutschland „so mächtigen historischen Zeitrichtung“ (246) reflek-
tiert er deren potentielle Schädlichkeit. Ohne die Bedeutung des Historischen
für das Leben grundsätzlich in Frage zu stellen, äußert N. seine Vorbehalte
gegenüber einer unkritischen Verabsolutierung geschichtlichen Denkens. Sei-
ne ,unzeitgemäße4 Devise lautet: „Nur soweit die Historie dem Leben dient,
wollen wir ihr dienen“ (245). Anstelle eines bequemen Eskapismus mithilfe der
Historie, deren Hypertrophie nach seiner Überzeugung zu zeittypischen Entar-
tungsphänomenen und pathologischen Symptomen führt, plädiert N. für einen
maßvollen Einsatz der Historie „zum Leben und zur That“ (245). Seine ,unzeit-
gemäße4 Metaperspektive auf die Epochenproblematik versucht er durch die
Berufung auf seine eigenen Erfahrungen als klassischer Philologe zu legitimie-
ren. Über bloße Negativität hinaus erhofft er von seiner Zeitkritik positive Wir-
kungen für die Zukunft.
1.
Im 1. Kapitel (248-257) beschreibt N. zunächst eine erlebnishafte Grunderfah-
rung: das „Glück“, vergessen zu können, ganz im Augenblick zu leben und
folglich in solchen Momenten „unhistorisch zu empfinden“ (250). Anders als
der Mensch - so konstatiert N. - sei das Tier dazu imstande, „fast ohne Erinne-
rung zu leben, ja glücklich zu leben“ (250). Während das Glück des Tieres
darin bestehe, ganz im Augenblick zu existieren, mithin in einem fortwähren-
den Prozess des Vergessens (248), werde der Mensch dauerhaft von der „Last
des Vergangenen“ beschwert (249) und von seinen permanent wiederkehren-
und 3 kommt zentrale Bedeutung zu, da sie zwischen der monumentalischen,
antiquarischen und kritischen Art der Historie differenzieren (258). In den Ka-
piteln 4 bis 8 diagnostiziert N. die Gefahr lebensfeindlicher „Uebersättigung
einer Zeit in Historie“ (279). Eine kritische Auseinandersetzung mit Eduard von
Hartmanns Philosophie des Unbewußten. Versuch einer Weltanschauung (1869)
folgt im 9. Abschnitt, mit dem sich N. zugleich in eine aktuelle Kontroverse
einschaltet. Und im 10. Kapitel schließlich zeigt er die Funktion, die das Unhis-
torische und das Überhistorische als Therapeutika für einen kranken Zeitgeist
haben können.
Vorwort
Mit einem kurzen Vorwort (245-247) eröffnet N. seine „Betrachtung über den
Werth und den Unwerth der Historie“ (245). In entschiedener Abkehr von der
gerade in Deutschland „so mächtigen historischen Zeitrichtung“ (246) reflek-
tiert er deren potentielle Schädlichkeit. Ohne die Bedeutung des Historischen
für das Leben grundsätzlich in Frage zu stellen, äußert N. seine Vorbehalte
gegenüber einer unkritischen Verabsolutierung geschichtlichen Denkens. Sei-
ne ,unzeitgemäße4 Devise lautet: „Nur soweit die Historie dem Leben dient,
wollen wir ihr dienen“ (245). Anstelle eines bequemen Eskapismus mithilfe der
Historie, deren Hypertrophie nach seiner Überzeugung zu zeittypischen Entar-
tungsphänomenen und pathologischen Symptomen führt, plädiert N. für einen
maßvollen Einsatz der Historie „zum Leben und zur That“ (245). Seine ,unzeit-
gemäße4 Metaperspektive auf die Epochenproblematik versucht er durch die
Berufung auf seine eigenen Erfahrungen als klassischer Philologe zu legitimie-
ren. Über bloße Negativität hinaus erhofft er von seiner Zeitkritik positive Wir-
kungen für die Zukunft.
1.
Im 1. Kapitel (248-257) beschreibt N. zunächst eine erlebnishafte Grunderfah-
rung: das „Glück“, vergessen zu können, ganz im Augenblick zu leben und
folglich in solchen Momenten „unhistorisch zu empfinden“ (250). Anders als
der Mensch - so konstatiert N. - sei das Tier dazu imstande, „fast ohne Erinne-
rung zu leben, ja glücklich zu leben“ (250). Während das Glück des Tieres
darin bestehe, ganz im Augenblick zu existieren, mithin in einem fortwähren-
den Prozess des Vergessens (248), werde der Mensch dauerhaft von der „Last
des Vergangenen“ beschwert (249) und von seinen permanent wiederkehren-