Überblickskommentar, Kapitel 11.8: Wirkungsgeschichte 321
UBII HL „wie das Morgenroth einer besseren Zukunft leuchtet“ (KGB II4,
Nr. 530, S. 433). Sie führte auch eine Bekannte, die Marchesa Emma Guerrieri-
Gonzaga, an die Historienschrift heran, die zuvor auf Die Geburt der Tragödie
verständnislos und auf UB I DS erzürnt reagiert hatte, wie sie N. am 15. Mai
1874 brieflich gestand, um dann fortzufahren: „Ein gütiges Schicksal führte
mich von neuem zu Ihnen: ich las Ihre kleine Schrift über Homer, die mir un-
endlich gefiel. Und jetzt das 2te Stück der Unzeitgemäßen Betrachtungen4, die
für mich wie eine Offenbarung waren, und ich glaube nicht, daß ich Ihnen im
Geiste wieder untreu werden kann!“ (zitiert nach Janz 1978, Bd. 1, 573) - eine
optimistische Erwartung, die sie angesichts ihres „deprimirenden Eindruck[s]“
von UB IIISE (KGB II4, Nr. 610, S. 616-617; vgl. die ausführliche Begründung
in Kapitel III.6 im Überblickskommentar zu UB III SE) allerdings schon wieder
revidiert.
Heinrich von Treitschke betont N.s Zeitgemäßheit, wenn er am 11. Sep-
tember 1881 in einem Brief an Franz Overbeck das Verdikt formuliert: „Dein
Unglück ist dieser verschrobene Nietzsche, der sich so viel mit seiner unzeitge-
mäßen Gesinnung weiß und doch bis ins Mark angefressen ist von dem zeitge-
mäßesten aller Laster, dem Größenwahn“ (zitiert nach Hauke Reich 2013,
456). - Ein anonymer Rezensent (in: Der Literaturfreund, Bd. 1, Nr. 2,154) hin-
gegen äußert sich polemisch, indem er UB II HL als „unzeitgemäß“ lediglich
im Sinne von obsolet ansieht - als sei diese Betrachtung schon „vor 1848 gebo-
ren“: Er findet in der Schrift nur „höchst unklare, philosophisch sein sollende
und prätentiös klingende, [...] mit dem jetzigen Zustand der Welt unzufriedene
Aeußerungen“, die aber kein „neues Licht oder überhaupt nur Licht in den
Gegenstand zu bringen“ vermögen (zitiert nach Reich 2013, 458-459).
Eine besonders aufschlussreiche Resonanz auf N.s Historienschrift bietet
der Essayist und Kulturwissenschaftler Karl Hillebrand 1874 (nur viereinhalb
Monate nach dem Erscheinen von UB II HL) mit seiner sehr ausführlichen Stel-
lungnahme unter dem Titel Ueber historisches Wissen und historischen Sinn (zi-
tiert nach Hauke Reich 2013, 460-473). Zwar hält Hillebrand N.s Schriften für
anregend, „geistvoll“ sowie für „schön und lebendig geschrieben“, wenngleich
„etwas jugendlich, unfertig“ (vgl. ebd., 460), aber seine inhaltlichen Vorbehal-
te sind gravierend: So rechnet er N. zu einer „Schaar von Stürmern und Drän-
gern“, die sich durch Defizite der Zeit zu „radicaler Opposition“ herausgefor-
dert sehen, einer Gruppierung, die allerdings „nur allzu gern das Kind mit dem
Bade ausschüttet und sich, im dunklen Bewußtsein dessen, was ihr selbst
fehlt, manchmal gar wild geberdet“ (ebd., 462). N. als „einer ihrer geistvollsten
und muthigsten Häuptlinge“ beschränke sich dabei - anders als etwa Herder -
auf das „Niederreißen“ und offenbare damit einen „Sturm und Drang der Ver-
neinung, der Reue, [...] im Gefühle des verfehlten Weges“ (ebd., 462).
UBII HL „wie das Morgenroth einer besseren Zukunft leuchtet“ (KGB II4,
Nr. 530, S. 433). Sie führte auch eine Bekannte, die Marchesa Emma Guerrieri-
Gonzaga, an die Historienschrift heran, die zuvor auf Die Geburt der Tragödie
verständnislos und auf UB I DS erzürnt reagiert hatte, wie sie N. am 15. Mai
1874 brieflich gestand, um dann fortzufahren: „Ein gütiges Schicksal führte
mich von neuem zu Ihnen: ich las Ihre kleine Schrift über Homer, die mir un-
endlich gefiel. Und jetzt das 2te Stück der Unzeitgemäßen Betrachtungen4, die
für mich wie eine Offenbarung waren, und ich glaube nicht, daß ich Ihnen im
Geiste wieder untreu werden kann!“ (zitiert nach Janz 1978, Bd. 1, 573) - eine
optimistische Erwartung, die sie angesichts ihres „deprimirenden Eindruck[s]“
von UB IIISE (KGB II4, Nr. 610, S. 616-617; vgl. die ausführliche Begründung
in Kapitel III.6 im Überblickskommentar zu UB III SE) allerdings schon wieder
revidiert.
Heinrich von Treitschke betont N.s Zeitgemäßheit, wenn er am 11. Sep-
tember 1881 in einem Brief an Franz Overbeck das Verdikt formuliert: „Dein
Unglück ist dieser verschrobene Nietzsche, der sich so viel mit seiner unzeitge-
mäßen Gesinnung weiß und doch bis ins Mark angefressen ist von dem zeitge-
mäßesten aller Laster, dem Größenwahn“ (zitiert nach Hauke Reich 2013,
456). - Ein anonymer Rezensent (in: Der Literaturfreund, Bd. 1, Nr. 2,154) hin-
gegen äußert sich polemisch, indem er UB II HL als „unzeitgemäß“ lediglich
im Sinne von obsolet ansieht - als sei diese Betrachtung schon „vor 1848 gebo-
ren“: Er findet in der Schrift nur „höchst unklare, philosophisch sein sollende
und prätentiös klingende, [...] mit dem jetzigen Zustand der Welt unzufriedene
Aeußerungen“, die aber kein „neues Licht oder überhaupt nur Licht in den
Gegenstand zu bringen“ vermögen (zitiert nach Reich 2013, 458-459).
Eine besonders aufschlussreiche Resonanz auf N.s Historienschrift bietet
der Essayist und Kulturwissenschaftler Karl Hillebrand 1874 (nur viereinhalb
Monate nach dem Erscheinen von UB II HL) mit seiner sehr ausführlichen Stel-
lungnahme unter dem Titel Ueber historisches Wissen und historischen Sinn (zi-
tiert nach Hauke Reich 2013, 460-473). Zwar hält Hillebrand N.s Schriften für
anregend, „geistvoll“ sowie für „schön und lebendig geschrieben“, wenngleich
„etwas jugendlich, unfertig“ (vgl. ebd., 460), aber seine inhaltlichen Vorbehal-
te sind gravierend: So rechnet er N. zu einer „Schaar von Stürmern und Drän-
gern“, die sich durch Defizite der Zeit zu „radicaler Opposition“ herausgefor-
dert sehen, einer Gruppierung, die allerdings „nur allzu gern das Kind mit dem
Bade ausschüttet und sich, im dunklen Bewußtsein dessen, was ihr selbst
fehlt, manchmal gar wild geberdet“ (ebd., 462). N. als „einer ihrer geistvollsten
und muthigsten Häuptlinge“ beschränke sich dabei - anders als etwa Herder -
auf das „Niederreißen“ und offenbare damit einen „Sturm und Drang der Ver-
neinung, der Reue, [...] im Gefühle des verfehlten Weges“ (ebd., 462).