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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0362
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336 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

nengliederung jeweils durch zahlreiche thematische Komplexe aus mehreren
Seiten. Zu diesen Nachlass-Dokumenten, die etliche implizite Bezugnahmen
auf UBII HL enthalten, gehören auch Scheiers Notizen zum geplanten Vortrag
„Nietzsche und die Fragwürdigk[eit] des Menschen“ (B.I.21,13-15), den er Mitte
Oktober 1927 zur Feier von N.s Geburtstag halten wollte. Im „Nietzsche-Heft“
notiert Scheier zu N.: „[...] Aber central seine ,Anthropologie'. Seine ,Kulturphi-
los[ophie]‘ und ,Kulturkritik4 ist aus ihr zu erklären, nicht umgekehrt“ (B.I.21,
75). Max Scheier, der sich bereits seit seiner Gymnasialzeit intensiv mit N. aus-
einandersetzte, betrachtete sich selbst - gerade im Bereich der philosophi-
schen Anthropologie - als den Erben N.s. Auf der Suche nach dem, was seines
Erachtens „auszuscheiden“ bzw. „fortzubilden“ sein sollte, rückt Scheier im
Zusammenhang mit einer ,,Andeut[ung] meiner Anthropologie“ auch „Nietz-
sche und das Problem einer europäischen4 und deutschen',Elite“' ins Blickfeld
(B.I.21, 77). Einige Seiten zuvor spricht sich Scheier im Abschnitt „Übermensch“
des „Nietzsche-Heftes“ grundsätzlich für geschichtsteleologische Prämissen
aus: „Alle Geschichte erhält Sinn[,] Rechtfertigung], Erlösung im[m]er erst aus
der Zukunft her“ (ebd., 69); dabei richtet sich sein Blick auch konkret auf N.s
Übermensch-Konzept.
Diese Aufzeichnungen Scheiers lassen Analogien zu den Zukunftsperspek-
tiven erkennen, die N. in UB II HL entfaltet, etwa wenn er die „Aufgabe der
Geschichte“ darin sieht, „das hohe Geistergespräch“ im Sinne Schopenhauers
fortzusetzen und „immer wieder zur Erzeugung des Grossen Anlass zu geben
und Kräfte zu verleihen“ (317, 21-24). Scheier selbst schließt mit seiner Hoff-
nung auf eine neue Weltepoche, die durch Eliten herbeizuführen sei, an Aspek-
te einer heroischen Geschichtsauffassung bei N. an und stimmt insofern auch
mit dessen Überzeugung überein, „das Ziel der Menschheit“ könne „nicht am
Ende liegen, sondern nur in ihren höchsten Exemplaren“ (317, 24-26). Vgl.
dazu NK317, 22-26. Im „Nietzsche-Heft“ betitelt Scheier einen Abschnitt so:
„Dionys[ischer] Mfensch] (,homo patheticus')“ (Scheier: Ana 315, B.I.21, 148).
Im Hinblick auf philosophiehistorische Stationen, die von „Socrates“ bis
„Heidegger“ reichen, notiert er dreizehn von ihm anvisierte Aspekte einer
geplanten „Kritik der anthropologischen] Theorien“: Hier signalisiert Punkt
„6.) homo patheticus et dionisius. (Geniecult)“ (ebd., 150-151) eine Affinität
zum Frühwerk N.s, insbesondere zum dionysischen Kunstprinzip und zur mo-
numentalischen Historie in seiner Tragödien- und Historienschrift (GT und
UB II HL).
Scheier befürwortet einen prononcierten Geistesaristokratismus, wie er
sich bei N. bereits in den Unzeitgemässen Betrachtungen ausprägt. Mit implizi-
ter Bezugnahme auf UB II HL erklärt Scheier: „Daß die ,höheren Menschen4
es sind, in denen die Geschichtet,] ja der Weltprocess ,gipfelt4, sich selbst am
 
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